Eine Geschichte von Liebe und Feuer
empfand er keinerlei Widerwillen gegenüber der IrinistraÃe und hielt sich lieber dort als in seiner eigenen schäbigen Wohnung in der Innenstadt auf. Pavlina hieà ihn immer mit einem warmen Essen willkommen, Olga mit einem Lächeln und Dimitri mit überschwänglicher Freude. Der kleine Junge liebte seinen Onkel, der ihm stundenlang Kinderlieder vorsang und Bonbons oder Münzen aus dem Nirgendwo herbeizauberte. Jedes Mal, wenn Onkel Leonidas erschien, gab es begeistertes Jauchzen und fröhliches Lachen.
Seit einiger Zeit existierte ein Wiederaufbauplan für die gesamte Stadt, den ein Franzose namens Ernest Hébrard erstellt hatte. Danach sollten die kleinen StraÃen durch breite Boulevards mit vornehmen Gebäuden ersetzt werden. Das passte sehr gut zu den Zielen, die groÃe Handelsherren wie Konstantinos Komninos verfolgten, der sich über die Umwandlung der Stadt auch entsprechend freute. Muslime und Juden teilten seine Freude allerdings nicht. Die Moreno Familie sah mit Entsetzen, dass das Viertel mit den verwinkel ten Gassen südlich der EgnatiastraÃe, wo viele Juden gelebt hatten, nicht in der alten Form wiederaufgebaut und ein GroÃteil der jüdischen Gemeinde an den äuÃeren Stadtrand gedrängt werden sollte, wo viele Muslime gewohnt hatten. Auch sie wurden aus dem Zentrum verdrängt.
Da das Viertel um die IrinistraÃe glücklicherweise vom Feuer verschont geblieben war, war es von den Neuplanungen nicht betroffen. Es war vielleicht überbevölkert, ermöglichte seinen Bewohnern aber einen Lebensstil, der ihnen behagte und den keiner von ihnen ändern wollte.
Der Wiederaufbau von Konstantinosâ Lagerhaus war geschafft, und noch bevor sich der Brand zum ersten Mal jährte, war es wieder in Betrieb und brachte monatlich so viel Gewinn ein wie zuvor, wenn nicht mehr. Nun kam der Verkaufs- und Ausstellungsraum an die Reihe.
Im November 1 918 war der Krieg, an dem Nationen aller Erdteile teilgenommen hatten, zu Ende. Die griechischen Divisionen an der mazedonischen Front hatten geholfen, den deutschen und bulgarischen Widerstand zu brechen, und darauf folgte der Zusammenbruch Deutschlands. Nachdem der Waffenstillstand unterzeichnet war und die Sieger mit der Aufteilung des geschlagenen Osmanischen Reiches be gannen, hoffte Eleftherios Venizelos, dass der griechische Bei trag Anerkennung finden würde. Viele Jahre hatte er einen groÃen Traum gehegt, seine megali idea : die groÃen, früher griechischen Gebiete in Kleinasien von den Türken zurückzufordern und das Byzantinische Reich wieder zu errichten. Noch immer lebten über eine Million Griechen in Kleinasien verstreut, viele von ihnen in Konstantinopel. Diese Stadt wieder zurückzuerobern, die 1453 den Griechen entrissen worden war, gehörte zu Venizelosâ zentralen Zielen.
Als die Vertragsbedingungen ausgehandelt wurden, hoffte er, die Kontrolle über Konstantinopel und über Smyrna, einer Stadt an der türkischen Küste, zu erhalten. Für viele Muslime in Thessaloniki war es eine ungemütliche Zeit. Die Alliierten hatten ihre muslimischen Brüder in der Türkei ge schlagen, und sie wünschten sich insgeheim, das Osmanische Reich hätte gesiegt.
Doch bevor ein Friedensvertrag mit Deutschland geschlossen werden konnte, trieb Venizelos die griechische Armee in einen gefährlichen Einsatz. Im Mai 1919 , während sein Bruder die Einnahmen zählte, die ihm der Woll- und Kakistoffhandel eingebracht hatte, und sein kleiner Neffe in der IrinistraÃe Verstecken spielte, machte sich Leonidas in Richtung der türkischen Küste auf. Mit Unterstützung französischer, britischer und amerikanischer Schiffe besetzten zwanzigtausend griechische Soldaten Smyrna, das als einer der sichersten Häfen der Ãgäis galt.
Der Grund für die Invasion war der Schutz der Stadt vor italienischen Truppen, die gerade südlich davon gelandet waren, aber Venizelos wollte auch Hunderttausende dort ansässiger Griechen vor den Türken schützen. Fünf Jahre zuvor war fast eine Million christlicher Armenier aus ihrer Heimat am Schwarzen Meer vertrieben und auf einen Marsch in die Wüste geschickt worden, wo sie elend zugrunde gingen. Es bestand groÃe Sorge, dass die Griechen, die seit Generationen in dieser Region lebten, das gleiche Schicksal treffen könnte, und diese Befürchtung stärkte die Entschlossenheit von Leonidas Komninos
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