Eine Geschichte von Liebe und Feuer
Synagoge oder um eines der vielen Minarette tollten, interessierte sie nicht, dass dies Andachtsstätten waren. Und welchen Glauben sie repräsentierten, war ihnen sogar noch unwichtiger.
Dennoch wussten sie, dass es Unterschiede zwischen ihnen gab. »Warum kannst du nicht sprechen wie wir, Isaac?«, neckte einer der Christenjungen ein jüdisches Kind. »Und warum darfst du am Samstag nicht zum Spielen rauskommen?« Auch über die muslimische Lebensart wurde gescherzt. »Ich hab meinen Vater sagen hören, dein Onkel sei letzte Nacht wieder besoffen gewesen!« »Na und? Meine Mutter sagt, solange er sich den Raki nicht selbst kauft, ist alles in Ordnung!« So lebte man in der IrinistraÃe, tolerant und immer bereit, ein Auge zuzudrücken.
Im November fand in der Stadt ein Prozess statt, den alle mit groÃem Interesse verfolgten. Das Ehepaar, von dessen Haus das Feuer vermutlich seinen Anfang genommen hatte, wurde wegen Brandstiftung angeklagt. Konstantinos, der seine Frau inzwischen selten häufiger als einmal pro Woche besuchte, kam zufällig am Tag des Urteilsspruchs vorbei und war sehr ärgerlich, weil das Paar freigesprochen worden war. Es widersprach Konstantinosâ Natur, eine solche Katastrophe als Zufallsereignis hinzunehmen, und er brauchte einen Schuldigen, an dem er seinen Zorn über seine groÃen Verluste auslassen konnte.
»Also sollen wir uns damit abfinden, dass die Zerstörung unserer Stadt ein schlichter Unfall war?«, schrie er und knallte die Faust auf den Tisch.
Olga wagte nicht, ihrem Mann zu widersprechen, obwohl sie der Meinung war, dass allein die Tatsache, dass auch diese Menschen alles verloren hatten, für ihre Unschuld sprach.
Konstantinos nahm von seiner Frau und dem Baby an diesem Morgen kaum Notiz. Seine ganze Aufmerksamkeit galt der Zeitung. Olga stand am Herd, brühte Kaffee für ihren Mann auf und stellte dabei fest, dass es exakt genauso lange dauerte, bis sein Zorn den Siedepunkt erreichte, wie die dunkle Flüssigkeit benötigte, um in dem briki hochzukochen. Sie goss den Mokka in das winzige Tässchen, stellte es vor ihn auf den Tisch und trat zurück.
Der Freispruch der verarmten Leute war nicht die einzige wichtige Nachricht des Tages.
Den ganzen Monat über hatte es täglich Berichte über Ereignisse gegeben, deren Ursache die bittere Spaltung innerhalb Griechenlands war. Kurz vor dem verheerenden Feuer hatte König Konstantin das Land verlassen, und sein zweiter Sohn Alexander, der sich dem Vater widersetzt hatte, Venizelos zu unterstützen, war ihm auf den Thron gefolgt. Venizelos, nun erneut Premierminister, säuberte die Armee von Royalisten und führte ein oberflächlich geeintes Land an der Seite der Alliierten in den Krieg. Auch Leonidas Komninos war an die makedonische Front im Norden Griechenlands geschickt worden.
Die Versorgung der Armee mit Uniformtuch hatte sich für Konstantinos Komninos als einträgliches Geschäft erwiesen. Jeder weitere Tag des Konflikts konnte ihm riesige Gewinne einbringen. Wenn er sein Geschäft schnell wieder auf die Beine brächte, würde er Millionen von Drachmen einnehmen, und trotz der chaotischen Infrastruktur der Stadt könnte er so die Lage zu seinem Vorteil nutzen.
Olga beobachtete ihren Mann, der nach dem eingehenden Studieren des Wirtschaftsteils rasch die Zeitung durchblätterte und dabei den übrigen Nachrichten kaum Beachtung schenkte. Er hatte wenig Lust, seine Zeit mit Grübeleien über die Kriegsereignisse zu verschwenden, obwohl sein eige ner Bruder an der Front stand. Ihn interessierte jetzt lediglich, schnell zu seinem Lagerhaus zu kommen, wo heute das Gerüst aufgestellt wurde.
Komninos stürzte seinen Kaffee hinunter, gab Olga einen flüchtigen Kuss auf die Wange und streichelte dem Baby über den Kopf. Dimitri lag schlafend an Olgas Schulter und bekam von den Problemen der Welt nichts mit. Roza Moreno war gerade gegangen, und es würde Stunden dauern, bevor sich das Baby wieder meldete. Es war absolut zufrieden.
»Ist alles in Ordnung hier? Wie schläft das Baby?« Seine achtlosen Fragen bedurften keiner Antwort. Er hatte es eilig, fortzukommen, und Olga auch nicht den Wunsch, ihn aufzuhalten.
»Das Lagerhaus sollte in ein paar Monaten fertig sein«, sagte er. »Und dann muss ich mich um meinen Ausstellungsraum kümmern. Danach sehen wir, was wir mit dem Haus tun können.«
Dann
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