Eine Geschichte von Liebe und Feuer
kroch. Er träumte von dem Feuer, das das Geschäft seiner Familie zerstört hatte. Die Erinnerung an die glühende Hitze war noch sehr lebendig in ihm. Und dann hörte er die Schreie.
»Feuer! Feuer! Die Stadt brennt!«
Als er langsam zu sich kam, stellte er fest, dass der beiÃende Rauchgeruch nicht bloà in seinen Träumen existierte. Bisher waren die Verhältnisse in Smyrna noch relativ geordnet gewesen, wenn man bedachte, dass die Bevölkerung in wenigen Tagen um mehrere Hunderttausend angewachsen war, aber jetzt breitete sich ein Chaos aus, das die Stadt wie ein Erdbeben erschütterte. Menschen liefen schreiend und weinend durch die StraÃen. Die Stadt brannte.
Die Soldaten sprangen auf. Panik fegte ihre Erschöpfung fort. Menschenmassen schoben sich in Richtung Meer, ganze Kinderscharen strömten aus Schulen und Waisenhäusern, und eine offensichtlich reiche Frau, die ihren wertvollsten Mantel gegriffen hatte, stand nun in Zobel gekleidet mitten unter ihnen. Die Flüchtlinge, die während der vergangenen Tage in die Stadt gekommen waren, drückten die Bündel mit ihren Habseligkeiten an sich, die sie schon Hunderte, wenn nicht Tausende Kilometer mitgeschleppt hatten. Alle liefen in dieselbe Richtung. Zum Hafen.
Das armenische Viertel war von der türkischen Kavallerie angezündet worden, die jetzt durch die Stadt ritt, überall Verwüstung anrichtete und Terror verbreitete. Griechen, die sich in ihren Häusern versteckten, sahen voller Entsetzen, wie ihre Türen eingeschlagen und ihre Räume geplündert wurden. Sie rochen das Petroleum, das vergossen wurde, be vor man ihre Häuser anzündete. Sie konnten wählen: entwe der herauszukommen und niedergemetzelt zu werden oder in den Flammen zu sterben.
Geschichten von Vergewaltigung und Verstümmelung, von abgeschlagenen, auf Stangen gespieÃten Köpfen und von Ratten, die sich an Eingeweiden gütlich taten, machten die Runde und verbreiteten sich ebenso rasend schnell wie das Feuer. Egal, welche Verbrechen die Griechen begangen hatten, die Türken waren entschlossen, sich hundertfach zu rächen. Die einzig realistische Hoffnung bestand darin, aufs Meer hinauszukommen. Smyrna befand sich in Auflösung.
»Wir müssen versuchen, hier rauszukommen«, sagte Leonidas zu seinen Männern. Es quälte ihn das Gefühl, ihnen gegenüber versagt zu haben, nachdem sie in dieser Stadt gestrandet waren.
»Wir sind eine leichte Beute, stimmtâs?«, sagte einer der jüngsten Soldaten und zupfte ihn am Hemd.
»Niemand ist sicher vor den Türken«, antwortete Leonidas. »Aber vermutlich ist es am besten, wenn wir uns trennen und auf verschiedenen Wegen versuchen, den Hafen zu erreichen. So fallen wir weniger auf.«
»Wo treffen wir uns wieder?«
»Nehmt einfach das erstbeste Boot, das ihr kriegen könnt. Wir sehen uns in Thessaloniki wieder.«
Nach zwei Jahren des Zusammenseins war dies ein dürf tiger Abschied, aber jetzt musste jeder um sein eigenes Leben kämpfen. Leonidas sah dem angeschlagenen Rest seines Regiments nach, der sich in den menschlichen Strom Richtung Hafen einreihte. Bald waren die Männer in der Menge untergegangen.
Bevor er ihnen folgte, sah er sich um. Rauch- und Feuer säulen erhoben sich in die Luft. Der Boden, auf dem er stand, wurde plötzlich von einer gewaltigen Explosion erschüttert, und dann hörte er, wie ein Gebäude zusammenbrach, das Geräusch von splitterndem Glas und das dumpfe Grollen einstürzender Mauern. Wie hunderttausend andere spürte er, dass nicht mehr viel Zeit blieb, um aus der brennenden Stadt zu entkommen.
Unten im Hafen entbrannte zwischen Einwohnern und Flüchtlingen der Kampf um Plätze auf den Schiffen. Was auf geordnete Weise begonnen hatte, als die Menschen sich ruhig einreihten, voller Hoffnung, einen Platz zu ergattern, war in Chaos umgeschlagen. Und unter den Menschen, die sich jetzt auf dem schmalen Raum entlang des Wassers zusammendrängten, nahm mit jeder Person, die dazukam, die Angst weiter zu. Es war eine Katastrophe.
Allein und unbelastet von störendem Gepäck schaffte es Leonidas, sich schnell in die Mitte der Menge vorzuarbeiten. Er sah kleine Boote aufs Meer hinausrudern, in denen sich Stühle, Matratzen und Koffer türmten. Andere Boote, die eigentlich nur für einen Mann und seine Fischernetze gebaut waren, hatten zwanzig Personen an Bord.
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