Eine Geschichte von Liebe und Feuer
Man hörte lautes Platschen, als sich Menschen ins Wasser warfen, um zu einem der italienischen Schiffe hinauszuschwimmen und um Aufnahme zu bitten. Gelegentlich hörte man das Knattern von Gewehrsalven, wenn einer der Schwimmer von einem türkischen Heckenschützen ins Visier genommen wurde.
Leonidas wurde von Scham gepackt. Jeder getötete Grieche war die Rache für einen toten Türken. Was für ein sinnloses Zahlenspiel war daraus geworden. Er wandte sich vom Wasser ab und kämpfte sich durch die Flut der Menschen in entgegengesetzter Richtung zurück. Seine Augen brannten vom Rauch, aber die Tränen kamen tief aus seinem Innern. Er konnte nicht fort. Bei all den Verbrechen, die er auf sich geladen hatte, wie konnte er sich da an irgendeinem Mann, einer Frau oder einem Kind vorbeidrängen? Es gab nicht einen einzigen Menschen hier, der es nicht mehr verdient hätte zu leben als er. In all den Monaten des Feldzugs waren die Soldaten auf einer Woge des Hasses vorangetrieben wor den, aber jetzt zerriss ihm die Selbstverachtung das Herz. Jeder, der nicht völlig mit der eigenen Flucht beschäftigt war, wäre auf diesen bis zum Skelett abgemagerten, sonnenverbrannten Soldaten aufmerksam geworden, der sich wie in Trance vom Meer wegschleppte. Sein struppiges Haar war weià vor Staub, und über die Furchen in seinem vorzeitig gealterten Gesicht liefen Tränen.
Aus der anderen Richtung kam die Frau mit ihren beiden Töchtern in den bestickten Kleidern. Sie suchte verzweifelt einen Platz für sich und ihre Mädchen. »Athina?« , fragte sie immer wieder und folgte den Hinweisen zu einer Menschenansammlung vor einem Schiff nach Piräus, dem Hafen von Athen. Ihre Höflichkeit und Eleganz wirkten wie ein Freibrief auf die Menge, und die Leute traten zurück, um sie und ihre Kinder durchzulassen. Allein die erbarmungswürdigen Schreie des Babys genügten, um selbst in den kältesten Herzen Mitgefühl zu wecken.
Als die Frau weiterging, erhob sich in der Nähe eine Funken sprühende Flammenwand. Sie war nur noch ein paar Meter von der Spitze der Schlange entfernt.
Plötzlich fiel ein glühendes Ascheteil auf den Ãrmel des kleinen Mädchens, brannte ein Loch in den Stoff und versengte seine Haut. Das Kind schrie auf vor Schmerz und riss sich von seiner Mutter los, um die Glut zu löschen. Die Mutter jedoch wurde gnadenlos weitergeschoben und gleich darauf in ein kleines Boot gesetzt, das sie zu dem Schiff nach Piräus bringen sollte.
Als sie bemerkte, dass ihre Tochter nicht bei ihr war, begann sie zu schreien.
»Wo ist meine Katerina? Wo ist mein kleines Mädchen? Katerina! Katerina! Meine Kleine!«
Sie wollte aussteigen, aber ihre verzweifelten Versuche, sich aufzurichten, brachten das kleine Boot gefährlich ins Schwanken, und ihre Panik gefährdete die Sicherheit aller.
»Die Leute kämpfen darum, auf diese Boote zu kommen, nicht herunter!«, schimpfte ein stämmiger Mann und packte sie an den Handgelenken, um sie wieder nach unten zu ziehen. »Jetzt setzen Sie sich hin, verdammt, damit wir hier fortkommen! Jemand anders wird Ihr Kind mitnehmen.«
Eine Wand aus Menschen stand nun zwischen der Fünfjährigen und dem Wasser und versperrte ihr die Sicht auf die schluchzende Mutter.
Das kleine Mädchen blieb auÃergewöhnlich ruhig. Dies war ihre Heimatstadt, und sie war sicher, jemanden zu finden, der ihr helfen würde. Sie wandte sich ab von dem Tumult aus Schreien, Angst und Flammen und entfernte sich vom Hafen. Die Brandwunde auf ihrem Arm begann immer stärker zu schmerzen.
Unterdessen wanderte Leonidas ziellos von der Menge fort. In seinem Kopf herrschte ein wilder Tumult, als tobte das Geschrei der Menschen im Innern seines Schädels. Er lieà sich in einen Hauseingang sinken und vergrub den Kopf in den Händen, um nichts mehr zu hören von dem Elend.
Plötzlich sah er auf, als hätte er die Blicke des Kindes auf sich gespürt. In seinem weiÃen Kleid sah es aus wie ein Engel, und der entfernte Feuerschein umgab das Mädchen mit einer fast überirdischen Aura. Sie war eine Fee, ein Geist, doch sie weinte.
Der Anblick rüttelte ihn auf, und er erhob sich.
Der kleine Engel flöÃte ihm neuen Mut ein.
»Es tut weh«, sagte sie tapfer und presste die Hand auf den Arm.
»Lass mich sehen.«
Die offene Brandwunde musste versorgt werden, und ohne einen Moment zu
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