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Eine Geschichte von Liebe und Feuer

Eine Geschichte von Liebe und Feuer

Titel: Eine Geschichte von Liebe und Feuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Victoria Hislop
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zögern, riss er seinen Hemdärmel ab.
    Â»Das muss richtig verbunden werden, aber für den Moment genügt es«, sagte er und wickelte den Stoff um ihren Arm. Der derbe Kakistoff passte nicht zu dem feinen, mit zarten Blumen bestickten Musselin ihres Kleids.
    Â»Wohin willst du denn? Und wieso läufst du allein herum?«
    Â»Meine Mutter und Schwester sind fort …« Sie drehte sich um und deutete aufs Meer. »… auf einem Boot.«
    Ihre kindliche Unschuld rührte ihn.
    Â»Dann müssen wir dich auch auf ein Boot bringen, ja?«
    Sie streckte die Arme aus, er nahm sie hoch und ging mit ihr zu der lärmenden Menge zurück.
    Â»Wie heißt du denn?«, fragte er. »Und woher kommst du?«
    Â»Ich heiße Katerina. Und ich komme von nirgendwo her.«
    Â»Aber du musst doch von irgendwo herkommen«, sagte er neckend, froh, sie ein wenig abzulenken.
    Â»Ich musste nicht von irgendwo herkommen. Ich war doch immer hier.«
    Â»Also lebst du hier. In Smyrna?«
    Â»Ja.« Kaum zu glauben, aber Leonidas merkte, dass er lächelte. Ihre kindliche Art, mit der beängstigenden Lage umzugehen, hatte etwas Magisches an sich, die auch seine eigene Verzweiflung dämpfte.
    Katerina wog fast nichts in seinen Armen. So leicht wie eine Feder, dachte er. Bislang hatte er nur ein einziges anderes Kind in den Armen gehalten, seinen Neffen Dimitri, und das war über ein Jahr her. Trotz des stechenden Gestanks aus Schweiß und Rauch, der ihn umgab, entging ihm nicht, dass von dem Kind, das seine Arme um ihn schlang, ein Duft von sauberer Wäsche und frischen Blumen ausging.
    Die dicht gedrängte Menge ließ sich von seinem Befehls ton und seiner ramponierten Uniform beeindrucken, machte Platz und ließ sie beide durch. Er spürte das Knirschen von Glasscherben unter seinen Sohlen und musste achtgeben, nicht über den verstreuten Hausrat zu stolpern. Ein kleines, barfüßiges Kind, wie es hier viele gab, hätte keinen Moment allein in dieser Hölle überlebt.
    Leonidas sprach mit einer Frau, die für die Belegung der Boote zuständig schien, und erklärte, dass das Kind verletzt sei. Bald darauf bekam es einen Platz.
    Â»Pass auf meinen Ärmel auf!«, rief er fröhlich. »Ich brauch ihn wieder!«
    Â»Versprochen!«, rief das kleine Mädchen zurück.
    Ihr Lächeln war das erste, das er seit einem Jahr gesehen hatte, und während seiner ganzen Dienstzeit war er selten jemandem begegnet, der eine solch stoische Haltung bewahrt hatte.
    Leonidas winkte, bis sie nur noch ein kleiner Punkt in der Ferne war. Dann machte er sich auf und kehrte in die brennenden Ruinen der Stadt zurück.

6
    M it jedem Ruderschlag, der sie dem großen, in der Bucht ankernden Schiff näher brachte, wurde Katerina aufgeregter. Ob sie hier ihre Mutter wohl wiederfinden würde? Als sie längsseits beilegten, ergriff sie die metallene Leiter und kletterte hinauf. Die Brandwunde tat weh, und als fremde Hände nach ihr griffen und sie an Deck hoben, zuckte sie vor Schmerz zusammen. Eine wohlmeinende Frau streichelte ihr über den Kopf, gab ihr ein Stück Brot und ein Glas Wasser und setzte sie auf eine Bank. Das Schiff war mit Frauen und Kindern vollgepackt. Ehemänner und Väter waren in der Armee und in den vergangenen Monaten zu Tausenden gestorben. Fast alle diese Frauen waren Witwen.
    Â»Bist du allein?«, fragte die Frau, die auf dem Schiff verantwortlich zu sein schien.
    Â»Meine Mutter ist hier«, antwortete Katerina. »Aber ich weiß nicht, wo.«
    Â»Sollen wir uns umsehen, ob wir sie finden können?«
    Sie nahm Katerina an der Hand, und gemeinsam suchten sie das Schiff der Länge und Breite nach ab. Viele Menschen waren in großer Not. Einige waren verwundet, andere sichtbar traumatisiert von den Ereignissen der letzten vierundzwanzig Stunden.
    Katerina klammerte sich noch fester an die Hand der Frau.
    Â»Kannst du mir sagen, wie sie aussieht?«, fragte die Frau. »Was hat sie angehabt?«
    Â»Sie hat genauso ein Kleid an wie ich«, antwortete Katerina mit Nachdruck. »Wenn sie eines für sich näht, macht sie immer auch das gleiche für mich.«
    Â»Das ist aber ein sehr hübsches Kleid!«, erwiderte die Frau lächelnd. Obwohl das Kleid des kleinen Mädchens vor Schmutz starrte, konnte man noch erkennen, wie schön es einmal gewesen war. Es war mit Gänseblümchen bestickt und mit

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