Eine Geschichte von Liebe und Feuer
eindrucksvollsten Gebäude in ganz Athen. Dort werden Theaterstücke aufgeführt, aber die Texte werden nicht gesprochen, sondern gesungen. Die Sänger tragen alle groÃartige Gewänder, und die Leute, die herkommen, um sie zu sehen, sind auch sehr schön gekleidet (auÃer dass jetzt, während wir hier sind, keine Aufführungen stattfinden). Alles ist in Rot und Gold gehalten: roter Teppich, rote Sitze und ein riesiger roter Samtvorhang mit Goldstickerei und den gröÃten Quasten der Welt daran. Stell Dir einfach das Haus eines Riesen vor, und dieser Riese wäre König, dann weiÃt Du, wo wir sind. Alles ist riesengroÃ, und wir bleiben in diesem schönen Gebäude, bis man eine Wohnung für uns gefunden hat!«
Begeistert lauschte Katerina den Beschreibungen dieses Palastes, der von gewöhnlichen Menschen bewohnt wurde, die ein wohlwollender, aber riesenhafter Monarch einge laden hatte. Das Leben im Opernhaus musste überaus ge sellig und komfortabel sein, und das Bild eines kolossalen Kessels, aus dem die Mahlzeiten geschöpft wurden, vollendete die Vorstellung von der freundlichen Herrschaft eines unsichtbaren Giganten. Von der schmutzigen Realität erwähnte Zenia nichts.
»Natürlich halten wir uns nicht den ganzen Tag innerhalb unseres Opernhauses auf. Manchmal gehen wir hinaus und erkunden die Stadt Athen.«
Zenia vermied allerdings eine wahrheitsgemäÃe Beschreibung der StraÃen in der überfüllten Stadt. Sorgsam lieà sie die Einzelheiten der Bettelei und Prostitution aus, obwohl Katerina dies durchaus vertraut gewesen wäre. Thessaloniki hatte ganz ähnliche Probleme. Stattdessen sprach sie von den groÃen Plätzen und Monumenten, die selbst Kinder, die in Smyrna aufgewachsen waren, in Bildbänden gesehen hatten.
»Ãber der Stadt, auf einem groÃen Felsen, steht eines der ältesten und berühmtesten Bauwerke der ganzen Welt. Es heiÃt Parthenon und war früher einmal ein Tempel. Er war auf dem Umschlag eines Deiner Bilderbücher abgebildet. Wenn die Sonne untergeht, ist er in rotgoldenes Licht getaucht und scheint zu brennen.«
Katerina saà an dem kleinen Tisch, an dem sich alles in diesem Haus abspielte, und sog jedes Wort in sich auf. Es war, als spräche ihre Mutter zu ihr, und ihre Stimme schien ganz nah zu sein.
In den Briefen kamen viele Namen von Leuten aus Smyrna vor, und an einige von ihnen konnte Katerina sich noch vage erinnern.
Nach dem ersten Dutzend bemüht fröhlicher Briefe, die in den Monaten kurz nach der Flucht aus Smyrna geschrieben worden waren, trat eine Pause ein.
Danach beschrieben die Briefe ein neues »Dorf« in das sie gezogen waren. Zenia räumte ein, dass sie alle schlieÃlich froh waren, nicht mehr im Haus des Riesen zu wohnen.
»Er hat zugelassen, dass es restlos überfüllt war«, schrieb sie, »und für uns wurde ein komplett neues Dorf gebaut, wo wir viel mehr Platz haben. Es ist wie ein normaler Ort mit StraÃen und kleinen Häusern. Wir müssen uns die Wohnung mit einer Frau und deren Tochter teilen, aber die Mädchen kommen ganz gut miteinander aus.«
Eugenia verstand den Unterton â die Kinder spielten fröhlich miteinander, aber die Mütter fühlten sich nicht ganz so wohl in der Gesellschaft der anderen. Ein solch erzwungenes Zusammenleben ging selten gut.
Einer der wenigen Männer in dieser witwenreichen Gemeinschaft hielt um die Hand von Zenia an. Er hieà Angelos Pantazoglou und wohnte mit seinen drei Kindern â seine Frau war bei der Geburt des letzten Kindes gestorben â nebenan.
Da es unter den Flüchtlingen doppelt so viele Frauen wie Männer gab, wusste Zenia, dass dies eine einmalige Gelegenheit war, ihren Töchtern wieder einen Vater zu verschaffen. Daher trank sie eines Freitags, zum zweiten Mal in ihrem Leben, aus dem gemeinsamen Becher und spürte die flüch tige Berührung der stephana , der Brautkrone, auf ihrem Kopf. In ihrem Brief beschrieb sie den dicken Priester, der so stark schnaufte, dass er kaum die vorgeschriebenen drei Runden um den Altar schaffte.
Briefe, die vor knapp einem Jahr geschrieben waren, berichteten von einem neugeborenen Sohn. » Ein Bruder für Dich und Deine Schwester , schrieb sie begeistert, und natürlich auch für Deine anderen Geschwister .«
Eugenia las den ganzen Packen der Briefe fast ohne Pause vor. Die Geschichten schienen einen
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