Eine Geschichte von Liebe und Feuer
Katerina geschickten Briefe an einen Kollegen in Thessaloniki mit der Bitte: »Versuchen Sie es bei dieser Adresse.«
Ein paar Wochen später klopfte es an Eugenias Tür.
»Ich weiÃ, dass dies nicht Ihr Nachname ist«, sagte der Postbote und hielt das Paket hoch. »Aber kennen Sie eine gewisse Sarafoglou?«
Eugenia blickte auf den Namen und nickte.
»Dann muss jemand aber eine Menge lesen!«, fügte er fröhlich hinzu, bevor er davonging.
Es waren mindestens dreiÃig oder vierzig mit einer Schnur zusammengebundene Briefe. Eugenia warf einen Blick auf die elegante Handschrift. Sie seufzte. Darauf hatte Katerina all die Jahre gewartet. Eugenia hatte sie immer ermuntert, die Erinnerung an ihre wahre Familie wachzuhalten, aber jetzt, als sie den Schlüssel zu ihrer Wiedervereinigung in Händen hielt, spürte sie, wie sehr ihr das kleine Mädchen inzwischen ans Herz gewachsen war. Es gab Wochen, da dachte sie überhaupt nicht mehr daran, dass Katerina nicht ihr eigen Fleisch und Blut war. Eugenia legte die Briefe hoch oben auf ein Regal neben die Ikone, wo ein ewiges Licht brannte, und dort blieben sie erst einmal unberührt liegen.
Ein paar Tage später ging Eugenia, geplagt von Schuldgefühlen, weil sie Katerina die Briefe immer noch nicht ausgehändigt hatte, zur Kirche von Agios Nikolaos Orfanos. Sie versuchte ihr Verhalten vor sich selbst damit zu rechtfertigen, dass diese Briefe das Kind aufregen könnten. Sie bat die Heilige Jungfrau um Rat.
Zurück im Haus, begann sie mit der Zubereitung des Abendessens, aber die Briefe gingen ihr nicht aus dem Kopf. Doch als sie nach oben blickte, um sich zu überzeugen, dass sie noch an Ort und Stelle waren, machte sie eine andere Entdeckung: Zum ersten Mal, seit sie die Ãllampe vor vier Jahren entzündet hatte, war die Flamme neben der Ikone verloschen. Das war ein Zeichen. Gott zürnte mit ihr, weil sie die Briefe zurückgehalten hatte.
Etwa eine Stunde später kamen die Mädchen nach Hause. Nach dem langen Heimweg von der Schule waren alle hungrig. Nachdem sie gegessen hatten, bat Eugenia die Zwillinge, nach oben zu gehen, und versuchte, ihre Aufregung zu verbergen, als sie Katerina sagte, dass sie etwas für sie habe.
»Ein paar Briefe sind für dich angekommen«, sagte sie. »Ich hab sie nicht aufgemacht, weil sie an dich adressiert sind, aber ich glaube, sie könnten von deiner Mutter sein.«
»Von meiner Mutter!«, rief Katerina aus. »Wo sind sie? Wo sind sie?«
Eugenia hatte die Schnur bereits aufgeschnitten und die Briefe nach dem Datum der Poststempel sortiert. Sie legte sie in zwei Stapeln auf den Tisch.
Katerina starrte, plötzlich von unerklärlicher Angst gepackt, auf die Briefe. Sie stammten von einer Frau, die sie nicht mehr kannte, und im selben Moment wurde ihr klar, dass sie sich auch kaum noch an das Gesicht ihrer Mutter erinnerte. Wenn sie einander auf der StraÃe begegnet wären, hätte sie sie vielleicht gar nicht erkannt.
Eugenia begann, ihr die Briefe vorzulesen, und lieà gelegentlich eine Zeile aus, wenn sie dies für angebracht hielt. Obwohl Katerina inzwischen besser lesen konnte, wäre es ihr unmöglich gewesen, die unregelmäÃige Handschrift zu entziffern, die Hunderte von Seiten füllte.
Das erste Dutzend der Briefe war von einer gewissen unbeschwert-fröhlichen Art geprägt und voller Schilderungen alltäglicher Beobachtungen bei der Ãberfahrt von Smyrna nach Athen. Sie vermittelten den Eindruck, als wäre Zenia beim Abfassen nicht davon ausgegangen, dass diese Schreiben ihr Ziel erreichten, und alles klang so, als wäre sie auf einer Vergnügungsfahrt gewesen und die Familie bald wieder vereint. Auf jeder Seite gab es weitschweifige Ausführungen darüber, was sie tun würden, wenn sie erst wieder zusammen wären, Beschreibungen von Kleidern, die sie für Katerina, und von Häubchen und Lätzchen, die sie für das Baby machen würde.
Sie schilderte, was mit ihr und Artemis nach der Ankunft in Athen geschehen war. Alles war sehr verschieden von Katerinas Erlebnissen mit Eugenia, auÃer in einer Hinsicht: der Hilfe durch Wohltätigkeitsorganisationen.
»Ohne die«, schrieb Zenia, »wäre das Leben unerträglich gewesen. Du kannst Dir nicht vorstellen, wo man uns hingebracht hat! Es ist ganz und gar kein normales Haus. Es heiÃt Opernhaus und ist eines der
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