Eine Geschichte von Liebe und Feuer
beständigen Erzählfluss zu fordern. Katerina unterbrach sie kein einziges Mal, auÃer als Eugenia die Namen ihrer Stiefgeschwister nannte, und Katerina sie wiederholte: Petros, Froso, Margarita und Manos, ihr Halbbruder.
Die Briefe endeten immer mit ähnlichen Worten: »Wenn dieser Brief Dich erreicht, Katerina, hoffe ich, dass er beiträgt, Dich zu uns zurückzubringen. Ich erzähle Artemis oft von ihrer groÃen Schwester, und sie fragt jeden Tag nach Dir. Ich glaube, es ist schwer für sie zu verstehen, dass sie eine Schwester hat, die nicht bei uns ist.«
Als Eugenia zum Schluss des letzten Briefes kam, war es fast Mitternacht. Gewöhnlich hätte Katerina um diese Zeit längst geschlafen, aber heute war sie hellwach und ganz auÃer sich vor Aufregung.
»Wir haben sie gefunden!«, sagte sie. »Ich werde meine Mutter wiedersehen!«
Eugenia rang sich ein Lächeln ab, aber ihr Herz tat weh.
Innerhalb weniger Tage hatte der Postbote Zenia in Athen gefunden und das Paket mit Katerinas Briefen abgeliefert. Sie mussten nicht nach dem Datum geordnet werden, weil die Entwicklung der Handschrift von den kindlichen Anfängen bis hin zu einer fast erwachsenen Gewandtheit dem Leser anzeigte, in welcher Reihenfolge sie geschrieben worden waren.
Sie waren voller Geschichten über ihr Leben in Thessaloniki, und als sie die Frau beschrieb, die während der ganzen Zeit für sie gesorgt hatte, spürte Zenia heftige Eifersucht. Der Schmerz kehrte jedes Mal wieder, wenn sie den Namen »Eugenia« las. Sie konnte ihn einfach nicht abstellen.
In den Briefen lernte sie die Familien Karayanidis, Komninos und Moreno kennen und viele andere, die die lebhafte alte Gasse bevölkerten, in der sie wohnten. Die Begeisterung für die lebendige und farbenreiche Stadt Thessaloniki sprang sie aus jeder Seite an.
Dem letzten Brief hatte Katerina sogar ein Taschentuch beigelegt, in das sorgfältig der Name ihrer Mutter eingestickt war. Zenia lächelte und freute sich, dass ihre Tochter eine Familientradition fortführte. Ihre eigenen Künste auf diesem Gebiet beschränkten sich inzwischen darauf, Knöpfe an billige Hemden zu nähen, die an einen GroÃhändler gingen und auf einem Marktstand verkauft wurden.
»Können wir schreiben, können wir schreiben?«, bettelte Katerina während der nächsten Tage aufgeregt, weil sie endlich einen Brief abschicken wollte, der auch ohne Umwege ankommen würde.
Ihr Brief bestand aus einer Liste von Fragen. Sie wollte mehr über ihre Brüder und Schwestern erfahren, wie sie das Haus ihrer Mutter finden und wann sie kommen könne. Eugenia legte selbst einen Brief bei, in dem sie sich vorstellte und Zenia bat, ihr mitzuteilen, was unternommen werden sollte.
Nun, da sie die volle Adresse hatten, dauerte es nicht lange, bis der Brief sein Ziel erreichte, und nach wenigen Wochen klopfte der Postbote erneut an die Tür in der IrinistraÃe.
Zenia hatte ihre Antwort an Eugenia adressiert, aber in dem Umschlag lagen zwei Briefe, einer an Eugenia und einer an Katerina.
Bevor das Kind aus der Schule kam, las Eugenia den an sie gerichteten. Darin erklärte Zenia ihre Lebensumstände. Sie habe jetzt fünf Kinder, um die sie sich kümmern müsse. Ihr Mann ziehe seine eigenen vier Kinder vor, und die kleine Artemis werde nicht nur von ihrem Stiefvater, sondern auch von einigen der anderen Kinder schlecht behandelt. Wenn Zenia seine Ungerechtigkeit anspreche, bekäme sie Prügel dafür. Sie sei inzwischen am ganzen Leib mit blauen Flecken übersät, die sie unter den Kleidern verbergen müsse. Obwohl die Mauern zwischen den schäbigen Unterkünften dünn seien, mischten sich die Nachbarn bei derlei Anlässen nicht ein. Man sei der Ansicht, was hinter der eigenen Haustür geschehe, gehe niemand anders etwas an.
»Sie müssen die Wahrheit erfahren über meine jetzige Situation, Kyria Karayanidi. Zwar würde mich nichts glücklicher machen, als Katerina endlich wiederzusehen, aber ich glaube, dass sie eine bessere Zukunft hat, wenn sie bei Ihnen in Thessaloniki bleibt und nicht nach Athen kommt. Ich weiÃ, wie schwierig die Zeiten sind, aber würden Sie sie noch eine Weile bei sich behalten?«
Als Katerina nach Hause kam, lag ihr Brief auf dem Tisch, und sie nahm ihn aufgeregt an sich.
»Liest du ihn mir vor?«, rief sie. »Ich kann ihre komische Schrift nicht
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