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Eine Geschichte von Liebe und Feuer

Eine Geschichte von Liebe und Feuer

Titel: Eine Geschichte von Liebe und Feuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Victoria Hislop
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fahren, aber alle wussten, dass er dort bereitstand, um Olga in ihr altes und Dimitri in sein neues Leben zu entführen. Dimitri schüttelte feierlich die Hände seiner Freunde, aber Elias, seinen »Milchbruder«, schloss er fest in die Arme. Die Frauen schämten sich ihrer Tränen beim Abschied nicht.
    Vielleicht zum letzten Mal gestattete der Junge seiner Mutter, ihn an der Hand zu nehmen, als sie von ihrem glücklichen Zuhause fortgingen.
    Obwohl sie keine Gewissheit hatte, dass Katerina überhaupt noch lebte, schrieb Zenia auch weiterhin an ihre Tochter. Es war nun mehr als vier Jahre her, dass sie aus Smyrna geflohen waren, und ihre Korrespondenz lagerte immer noch in einer Sammelstelle in einem Athener Vorort. Zehntausende, vielleicht Hunderttausende unzustellbare Briefe stapelten sich dort, der Beweis für die riesige Anzahl von Menschen, die von ihren Familien getrennt worden oder ohne feste Adresse waren.
    Die Poststelle wurde von einem sorgfältigen, fast schon krankhaft pedantischen Beamten geführt, der alles tat, damit die Briefe ihren Bestimmungsort erreichten. Als lediger Mann von fünfundfünfzig Jahren, der bei seiner verwitweten Mutter wohnte, hatte er sein Leben dem Erlernen fremder Sprachen gewidmet. Er konnte Französisch, Italienisch, Bulgarisch und Englisch lesen und hatte mehrere Alphabete gelernt, um einige weitere Sprachen entziffern zu können. Das alles hatte er sich aus Büchern beigebracht, die er in demselben muffigen Zimmer studierte, in dem er zur Welt gekommen war. Er galt als solch brillanter Kopf, dass er verschiedentlich sogar von Professoren und Politikern für Übersetzungen herangezogen wurde. Er selbst hatte jedoch keinen anderen Ehrgeiz, als die Aufgabe auszufüllen, für die man ihn eingestellt hatte: dafür zu sorgen, dass Briefe ihre Adressaten erreichten. Bei der Unmenge von Neuankömmlingen in Griechenland und der allgemeinen Bevölkerungsverschiebung stand er allerdings vor einer Herausforderung, die kaum zu bewältigen war.
    Als mit der Zeit der Platz in der Sammelstelle immer weniger wurde, blieb ihm keine andere Wahl, als zu drastischen Mitteln zu greifen. Das hieß, die Umschläge zu öffnen und das Briefgeheimnis zu verletzen. Für einen Mann, der sich akribisch an Vorschriften hielt, stellte dieser Schritt den aller letzten Ausweg dar. Wenn auch dies nicht zum Erfolg führte, musste er noch einen Schritt weitergehen und die Briefe vernichten, was für ihn einem totalen Versagen gleichkam, das ihm die Nachtruhe raubte.
    Im Innern des großen Lagerraumes stapelten sich Kisten vom Boden bis zur Decke – jede mit einem Ortsnamen versehen –, und der Beamte arbeitete gewöhnlich bis spät in die Nacht daran, sich die ältesten Briefe noch einmal vorzunehmen. Eines Tages, als sein Geist ganz besonders klar arbeitete, kam ihm plötzlich eine Idee, welcher Zusammenhang zwischen ein paar Briefen, die an verschiedenen Stellen des Lagers abgelegt waren, bestehen könnte.
    Einige von ihnen waren nach dem Poststempel eingeordnet, andere nach dem Bestimmungsort und einige weitere nach dem ursprünglichen Heimatort des Absenders in der Türkei. Gelegentlich hatte er einen Gedankenblitz und erinnerte sich genau, wo er einen Brief gesehen hatte, der vielleicht mit einem anderen Namen übereinstimmte.
    Katerina hatte ihre Briefe an »Zenia Sarafoglou, Athen« adressiert. Dem Beamten waren auch Briefe an »Katerina Sarafoglou, vormals Smyrna« untergekommen. Hatten diese beiden etwas miteinander zu tun? Wahrscheinlich nicht, da der Name nicht ungewöhnlich war, aber er öffnete einen Brief aus jedem Stapel und notierte sich die Absender adresse.
    Er sah, dass die Briefe an Katerina aus einer Gegend in Athen stammten, die vornehmlich von Flüchtlingen aus Smyrna bewohnt wurde und inzwischen als »Neu-Smyrna« bekannt war. Dann öffnete er den obersten aus dem Stapel der Briefe, die einen Poststempel aus Thessaloniki trugen, und sah die großen, aber gut lesbaren Buchstaben, die ein Kind geschrieben hatte. Die Absenderadresse lautete »Irinistraße 5 « und die Unterschrift »Katerina«.
    Sein Herz machte einen kleinen Freudensprung. Es war natürlich keineswegs sicher, dass es ein Treffer war, aber wie bei einem Detektiv, der einer Eingebung folgt, um ein Ver brechen aufzuklären, wurden seine Hände feucht. Einen Ver such war es wert. Er überstellte die an

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