Eine Geschichte von Liebe und Feuer
Sprachen flieÃend beherrscht, bevor er die Schule verlässt, bekommt er Ãrger.«
Eugenia lachte. »Armer Junge.«
Katerina hörte interessiert zu. Ein lebhaftes Bild von Dimitris seltsamem Leben in dem vornehmen Zuhause trat ihr vor Augen.
Dabei tauchte plötzlich eine Frage in ihr auf, die die Morenos betraf. Warum lebten sie trotz ihres groÃen Ateliers und all ihrer reichen Kunden in der IrinistraÃe? Mit Leuten wie ihnen? Das war doch verwunderlich. Hätten sie sich nicht auch ein Haus wie die Komninos-Familie leisten können?
Sie nahm all ihren Mut zusammen und fragte.
»Warum wohnen Sie eigentlich nicht so wie Dimitri? In einem gröÃeren, vornehmeren Haus?«
»Warum sollten wir das tun?«, fragte Roza überrascht.
Katerina war es ein bisschen peinlich, aber sie konnte einfach nicht lockerlassen. »Nun ⦠Sie haben ein so groÃes Atelier ⦠und einen so bedeutenden Namen in der Stadt. Und all die feinen Damen tragen Ihre Kleider, und deren Ehemänner lassen bei Ihnen arbeiten.«
Roza Moreno wusste genau, worauf das Mädchen hinauswollte. Die wenigen Kunden, die ins Atelier kamen und zugleich wussten, wo sie wohnten, waren gewöhnlich erstaunt. Die Morenos waren zu Wohlstand gekommen, hatten aber ihr kleines Haus in der schäbigen Altstadt nie aufgegeben.
»Ich will es dir sagen, meine Liebe. Und es ist ganz einfach«, erwiderte sie. »Mein Mann betreibt das Geschäft auch für die Leute, die dort arbeiten, nicht nur für sich selbst. Wir stellen nur die besten Schneider und Schneiderinnen von Thessaloniki ein, und daher zahlen wir ihnen auch mehr als den üblichen Lohn.«
Katerina nickte, als Roza Moreno fortfuhr.
»Viele von ihnen sind mit uns verwandt, also sind sie genauso bemüht wie wir, den Ruf der Firma hochzuhalten, die ihren Familiennamen trägt. Aber«, sie machte eine Pause, »wir stellen nicht nur Juden ein â wir beschäftigen auch Griechen! Darauf haben wir immer geachtet. Bei uns haben auch viele Muslime gearbeitet, und die vermissen wir immer noch.«
»Ich glaube nicht, dass es viele andere Werkstätten gibt, wo es so hell und luftig ist wie bei euch«, sagte Eugenia.
»Das stimmt, die meisten sind viel kleiner«, antwortete Roza. »Saul hat den Gewinn der vergangenen zehn Jahre in die Verbesserung der Arbeitsbedingungen gesteckt, also haben wir statt eines gröÃeren Wohnhauses ein schönes Atelier!«
»Und die neuen Nähmaschinen müssen auch eine Menge Geld gekostet haben«, sagte Eugenia.
»Ja, das war eine groÃe Investition«, räumte Roza ein. »Aber jeder kümmert sich um seine Maschine, als würde sie ihm selbst gehören.« Sie nahm Katerinas Hand. »Jetzt verstehst du, warum wir weder so wohnen wie unsere Kunden noch uns so kleiden wie sie«, fügte sie hinzu und deutete auf ihren weiten Rock und die einfache Bluse, die keinerlei Ãhnlichkeit mit der neuen europäischen Mode aufwiesen.
Inzwischen waren sie in die IrinistraÃe eingebogen, und hier lag der Rest der Erklärung: die StraÃe, wo keiner den an deren gering schätzte, wo es alteingesessene Griechen, »neue« Griechen aus Kleinasien und Griechisch oder Ladino sprechende Juden gab.
Und so kam allen der gleiche Gedanke. Warum sollten sie mit Olga Komninou tauschen wollen, die in bedrückender Einsamkeit in ihrer Villa am Meer sa�
Eine Woche später ging Katerina das letzte Mal zur Schule. Am Tag darauf wurde sie von Eugenia um halb sieben geweckt. Zehn Minuten später war sie bereits gewaschen und angezogen und bereit, das Haus zu verlassen.
Ihr Herz klopfte vor Aufregung, als sie auf die StraÃe hinaustrat, wo Saul Moreno und seine Söhne im bleichen Morgenlicht auf sie warteten.
»Da ist sie!«, rief Elias begeistert. »Fertig? Können wir gehen?«
Es war der erste Tag in Katerinas Arbeitsleben, ihr erster Tag als Schneiderin, als modistra.
»Ja«, sagte sie stolz. »Ich bin bereit!«
1 5
K aterina begann ihre Lehrzeit unter den Fittichen von Sauls Tante, einer strengen, aber kenntnisreichen Lehrerin. Seit vierzig Jahren arbeitete Esther Moreno bereits in dem Betrieb, und das Geschäft war ihr Lebensinhalt. Sie war nicht verheiratet und hatte in den vier Jahrzehnten keinen einzigen Arbeitstag versäumt.
Zu Beginn der Ausbildung ging es darum, sich mit den Stoffen vertraut zu machen. Worin lagen die
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