Eine Geschichte von Liebe und Feuer
kam, entdeckte er, dass jemand das Wort JUDE in roter Farbe auf die Eingangstür geschmiert hatte. Bevor seine Angestellten eintrafen, kaufte er einen Kübel schwarze Farbe und strich die gesamte Tür. Alle wunderten sich über seinen plötzlichen Wunsch, die Farbe der Tür zu verändern, aber er wollte sein Personal nicht beunruhigen, indem er den wahren Grund verriet.
»Ich hatte einfach das Gefühl, es wäre mal was anderes«, sagte er, aber ein paar Wochen später wollte er sie plötzlich in seinem Lieblingsgrün neu streichen.
Saul Moreno versuchte vor allem, seine Frau nicht zu beunruhigen. Auf dem Weg zur Arbeit kaufte er jeden Tag eine der vielen Zeitungen, aber wenn sie einen Hinweis auf antisemitische Umtriebe enthielt, warf er sie schnell weg. Er sagte auch nichts über die feindseligen Blicke, die ihn manchmal trafen, und verheimlichte Roza, dass einige Kunden inzwischen anderswo arbeiten lieÃen.
Ende Juni jedoch erreichte ihn eine Nachricht, noch bevor sie in der Zeitung stand.
Zwei seiner Schneider lebten in einer vorwiegend von Juden bewohnten Gegend, die als Campbell-Viertel bekannt war. In der vorangegangenen Nacht war ihr Haus angezündet worden. Die beiden Männer standen zwar noch unter Schock, wollten ihren Kollegen aber unbedingt davon berichten. Rund zwanzig Leute hatten sich im Zuschneideraum versammelt, und alle waren entsetzt über den Vorfall. Wie es aussah, war ein Mob kleinasiatischer Flüchtlinge, vor wiegend aus den Elendsvierteln in der Nähe, dafür verantwortlich gewesen.
»Zuerst haben wir uns verbarrikadiert. Das schien das Beste zu sein, um unser Haus und uns selbst zu schützen.«
»Aber das hat nichts genütztâ¦Â«, sagte sein Nachbar.
»Sie wollten Randale machen.«
»Wie Wahnsinnige!«
»Als sie das erste Haus angezündet hatten, mussten wir schnell raus. Also sind wir davon. Jeder konnte bloà mitnehmen, was er tragen konnte.«
»Ein paar von uns haben alles verloren! Werkstatt, Wohnung, alles!«
»Wir hatten Glück, überhaupt lebend rauszukommen!«
»Und sie haben auch noch in zwei anderen Vierteln Feuer gelegt!«
Der Vorfall schockierte Juden und Griechen gleichermaÃen. Es gab einen Prozess gegen einige der Täter und auch gegen den Herausgeber der Makedonia , der so viel Hass gegen die Juden geschürt hatte. Viele Juden trugen sich nun mit dem Gedanken zu emigrieren, darunter auch ein Schneider bei den Morenos. Wenn er sich in seinem eigenen Bett nicht mehr sicher fühlen könne, meinte er, gehe er fort. Im folgenden Monat wanderte er mit einem Dutzend weiterer Familien nach Palästina aus.
Saul Moreno war entschlossen, nicht zuzulassen, dass sich diese Vorkommnisse auf sein Geschäft auswirkten. Er schaltete in einigen der konservativen Zeitungen ganzseitige Anzeigen und präsentierte die Dankschreiben von reichen, hochrangigen Kunden.
Ãber jeder Anzeige stand die Zeile: »Wir kleiden Sie von Kopf bis Fuà ein«. Als Illustration diente die Zeichnung eines eleganten Paars, der Herr in Abendanzug, die Dame in einer langen, perlenbesetzten Robe. Bei der Frau zeigte sich eine verblüffende Ãhnlichkeit mit Olga Komninos.
Am Fuà der Seite stand in GroÃbuchstaben: MORENO & SÃHNE, ERSTES MODEATELIER IN THESSALONIKI .
Die Anzeigen waren ein Ausdruck des Selbstbewusstseins und eine Geste des Trotzes gegen diejenigen, die ihnen nicht wohlgesinnt waren.
Aber Saul Moreno fand noch ein anderes Mittel, um die Moral seiner Mitarbeiter hochzuhalten. Er kaufte ein Grammofon. Jeden Tag gegen Ende des Nachmittags wurde es eine Stunde in Gang gesetzt, und die Frauen freuten sich auf den Moment, wenn er hereinkam, um es aufzuziehen. Von dem Augenblick an, wenn sich die Nadel knisternd auf die Schallplatte senkte und die Musik den Raum erfüllte, hellte sich die Stimmung schlagartig auf.
Die Anzahl der Platten war beschränkt, aber gewöhnlich begann es mit einem sephardischen Lied von Haim Effendi aus der Türkei und endete immer mit ihrer Lieblingssängerin Roza Eskenazi. Und während dieser Zeit arbeiteten ihre fleiÃigen Hände im Rhythmus der Musik.
Im angrenzenden Raum lächelten die Angestellten, wenn sie über das Rattern ihrer Nähmaschinen hinweg die Frauen laut mitsingen hörten.
Mit der Zeit wurden Katerinas Finger immer geschickter, und sie führte die schwierigsten Techniken von Tag zu Tag besser aus.
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