Eine Geschichte von Liebe und Feuer
reichte Katerina ihr Taschentuch, und die junge Frau tupfte sich die Tränen ab.
»Hingegen hier ⦠ach, Eugenia, ich weià noch nicht mal, wie ich es sagen soll! Aber du verstehst doch sicher, was ich meine?«
»Ja, natürlich weià ich das, agapi mou. Hier ist dein Zuhause, nicht wahr?«
Katerina kämpfte mit sich und fühlte sich hin- und hergerissen, wem ihre Loyalität eigentlich galt.
»Ich gehöre jetzt nach Thessaloniki«, sagte sie schlieÃlich.
»Ich empfinde es ganz genauso«, pflichtete ihr Eugenia bei. »Und ich habe nicht die Absicht wegzuziehen.«
Zenias Briefe an ihre Tochter waren im Lauf der Zeit unregelmäÃiger geworden. Darin verheimlichte sie auch nicht mehr, wie hart das Leben mit ihrem Ehemann war, und schrieb, dass Katerina besser daran täte, in Thessaloniki zu bleiben. In ihrem letzten Brief beschrieb sie die neuen Wohnverhältnisse in ihrem Haus, das sie sich inzwischen mit den Ehemännern ihrer zwei Stieftöchter und deren verwitweten Müttern teilen musste. Zwölf Leute benutzten eine Toilette. Ihre Lebensumstände waren wirklich elend. Vor allem deswegen, weil nur Zenia Arbeit hatte.
Katerinas Gefühle wandelten sich, und sie hörte auf, sich Gewissensbisse zu machen. Sie spürte zwar noch den Verlust, aber auch ein neues Gefühl der Zugehörigkeit. Dennoch strich sie häufig unbewusst über ihren linken Arm, wo die Narbe trotz all der Jahre nicht verblasst war.
Eine Weile blieben die beiden Frauen wortlos sitzen, bis Eugenia das Schweigen brach.
»Es wird immer schwieriger, sich an den alten Wohnort zu erinnern. Die Leute erzählen zwar noch davon, aber für uns ist das jetzt Vergangenheit, stimmtâs? Und Thessaloniki war wirklich gut zu uns.«
»Ja, wirklich gut«, wiederholte Katerina. »Ich kann mich gar nicht mehr erinnern, aber hat man uns willkommen geheiÃen, als wir kamen?«
Eugenia warf den Kopf zurück und lachte. Eine solche Reaktion hatte Katerina noch nie bei ihr gesehen. Sie wiegte sich hin und her und war kaum in der Lage zu antworten.
»Ja, meine Liebe, sie haben uns willkommen geheiÃen. Das galt allerdings nicht für alle in der Stadt. Und viele Menschen haben ganz andere Erfahrungen gemacht. Aber die Leute in der IrinistraÃe, die haben uns sehr freundlich aufgenommen!«
Im Lauf der nächsten Monate traf Katerina mehrmals zufällig auf Dimitri, und sie machten es sich zur Gewohnheit, jedes Mal in eine Konditorei zu gehen. Sie befand sich ganz in der Nähe des Kurzwarengeschäfts, das Katerina seit ihrer Ankunft in der Stadt fast wöchentlich aufsuchte. Der Besitzer und sie waren inzwischen gute Freunde geworden.
Solange es noch sehr heià war, tranken Dimitri und Katerina drauÃen auf dem Gehsteig Limonade, doch als die Tage kürzer wurden, gingen sie nach drinnen, und Katerina nahm sich ein Stück Kuchen aus der Glasvitrine. Dimitri bestellte ihr immer noch ein Stück, das sie mit nach Hause nahm, und er neckte sie wegen ihrer Leidenschaft für SüÃes. Bei ihrer Unterhaltung führte meist Katerina das Wort.
»Eigentlich sollte ich dir das gar nicht erzählen, aber â¦Â«, begann sie gewöhnlich ihre Anekdoten.
Es gab reiche Damen »eines gewissen Alters« in Thessaloniki, wie sie sich ausdrückte, die sich unbedingt nach der neuesten Mode kleiden wollten. Sie brachten Illustrationen und Fotos aus Magazinen mit ins Atelier und waren überzeugt, man würde es schaffen, dass sie genauso aussahen wie die jungen Frauen auf den Bildern.
»Kyrios Moreno muss der Kundin dann beibringen â ohne sie zu verletzen natürlich â, dass das fragliche Modell vielleicht doch nicht ganz so vorteilhaft für sie ist. Es läuft immer auf die gleiche Weise ab. Man muss ihn holen und sagen: âºKyrie Moreno, könnten Sie kommen und mit einer Kundin über Chanel sprechen?â¹ Es ist eine Art Code. Worauf er sich mit dem gröÃten Taktgefühl etwas einfallen lassen muss, um die Wünsche der Kundin auf ein Modell zu lenken, das ihr vielleicht besser steht. Er wartet mit allem Möglichen auf, damit sie zustimmt. Er gibt etwa vor, dass bereits zwanzig ähnliche Kleider in Produktion sind oder dass der Schnitt sie älter aussehen lässt â was gewöhnlich wirkt. Mit den Farben ist es genauso. Wenn zum Beispiel gerade Kanariengelb in Mode ist. Aber Gelb steht einfach nicht jedem.
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