Eine Geschichte von Liebe und Feuer
Vater.
»Er ist nicht hier!«, rief er und umarmte Dimitri, vor Erleichterung schluchzend. »Er ist nicht hier.«
»Und im Hospital ist er auch nicht!«, sagte Dimitri.
»Nein? Da wollte ich gerade hin.«
»Das brauchen Sie nicht. Und nach Hause gekommen ist er auch nicht?«
»Nein«, antwortete Vassilis Vater. »Dann gibt es nur noch einen Ort, wo er sein könnte.«
Vassili musste verhaftet worden sein.
»Ich gehe zum Gefängnis«, sagte der ältere Mann. »Aber du darfst nicht mitkommen. Das wäre ein unnötiges Risiko.«
Am folgenden Tag strömten Tausende von Menschen zusammen, um die Toten zu betrauern. Zwölf mit Blumen bedeckte Leichen wurden in offenen Särgen durch die StraÃen getragen, und man weinte um die Märtyrer und die vielen Verwundeten. Die Leute im Trauerzug klagten über den Verlust ihrer Freiheit und den Tod ihrer Freunde. Blumen bedeckten den Platz, an dem die Demonstranten niedergemäht worden waren.
Als weitere Streiks angekündigt wurden, war dies der Vorwand, auf den Metaxas gewartet hatte. Er informierte den König, dass ein kommunistischer Putsch bevorstand. Am 4 . August bekam er die Erlaubnis, das Kriegsrecht zu verhängen. Griechenland war jetzt eine Diktatur.
Die Hitze war erdrückend, und selbst am Abend war das Thermometer nicht unter fünfunddreiÃig Grad gefallen. Olga war früh zu Bett gegangen.
Dimitri stellte fest, dass Pavlina den Tisch so gedeckt hatte, dass er seinem Vater gegenübersaÃ. Die Haushälterin hatte den ersten Gang noch nicht serviert, aber der Wein war schon eingeschenkt.
Konstantinos Komninos hob sein Glas.
»Ich würde gern einen Toast ausbringen«, sagte er.
Ausnahmsweise sah Dimitri seinen Vater direkt an. Er griff nicht nach seinem Glas, sondern starrte bloà in die kalten Augen, die sich auf ihn richteten.
»Auf Recht und Ordnung«, sagte Komninos. »Auf die Diktatur.«
Er lächelte nicht, aber in seinen Augen stand ein triumphierendes Leuchten.
War es Selbstbeherrschung oder Feigheit, fragte sich Dimitri, die ihn daran hinderten, seinem Vater die Karaffe ins Gesicht zu schleudern?
Na komm schon! Tuâs doch! , schien dessen Miene zu sagen.
Wortlos stand Dimitri auf und verlieà den Raum. Obwohl Flammen des Hasses in seinem Herzen loderten, würde er seinem Vater nicht die Genugtuung einer Reaktion schenken.
Konstantinos Komninos hörte die Eingangstür zuschlagen und setzte sein Mahl allein fort. DrauÃen auf der StraÃe übergab sich Dimitri in den Rinnstein.
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G enau wie Dimitri befürchtet und sein Vater gehofft hatte, verstärkte Metaxas den Druck auf die Gewerkschaften und stattete die Polizei mit zusätzlichen Rechten aus. Kommunisten und linke Aktivisten wurden zusammengetrieben und in Gefangenenlager gebracht. Mithilfe von Folter wurden Geständnisse oder die Namen anderer Kommunisten aus den Gefangenen herausgepresst.
Vassili blieb mehrere Monate im Gefängnis. Niemand durfte ihn besuchen, und Dimitri und seine Freunde trafen sich mit Vassilis Vater, um zu besprechen, was sie unternehmen könnten.
»Ihr seid keine Parteimitglieder«, sagte er, »aber wenn ihr einen Besuchsantrag stellt, werden sie euch als solche registrieren. Haltet euch also fern â das ist das Beste, was ihr tun könnt. Sie würden euch sowieso nicht zu ihm lassen.«
Einer der Juraprofessoren setzte sich für Vassilis Freilassung ein und bezeugte sogar, dass der Student auf dem Weg zu seiner Vorlesung gewesen sei, als man ihn bei der Demonstration verhaftet habe. Sechs Wochen nach Vassilis Festnahme erhielt sein Vater einen Brief. Aufgeregt riss er ihn auf, in der Hoffnung, er enthalte die Nachricht von der Freilassung seines Sohnes.
Sehr geehrter Kyrie Filippidis, stand darin. Wir möchten Sie vom Ableben Ihres Sohnes in Kenntnis setzen. Todesursache: Tuberkulose. Wenn Sie seine persönlichen Gegenstände abholen möchten, haben Sie dazu am 18. des Monats Gelegenheit.
An genau diesem Tag hatte er den Brief erhalten.
Vassilis Vater war zu überwältigt vom Schmerz, um zum Gefängnis zu gehen, also machten sich Dimitri und sein Freund Lefteris auf den Weg. Dimitri wusste, dass er sich mit der Unterschrift des Formulars belasten würde, aber es erfüllte ihn mit Stolz, der Freund eines Märtyrers zu sein.
Tränen der Trauer liefen ihm bei der Beerdigung übers Gesicht, aber
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