Eine glückliche Ehe
Augen lesen wie in einem offenen Buch. Sie haben überhaupt kein Talent zur Lüge!«
Wegener schwieg. O wenn ihr alles wüßtet, dachte er nur. Menschenkenntnis ist eine seltene Wissenschaft. Er war dankbar, daß Elietta davon offenbar nicht viel verstand.
Sie fanden ein kleines Lokal, in der Nähe der Via Veneto, etwas abseits, wo sich die promenierende Eitelkeit weniger blicken ließ, setzten sich in eine Nische und bestellten eine ganz gewöhnliche Pizza mit Tomaten und Artischockenherzen. Dazu einen goldgelben offenen Landwein, in einer Karaffe. Sie saßen da wie der personifizierte Reichtum und aßen wie die Bauern.
»Ich war gespannt auf Sie«, sagte die Gräfin.
»Und nun? Vor Ihnen sitzen fast zwei Zentner.«
»Warum kokettieren Sie mit Ihrem Gewicht? Ich sehe Ihre Augen, ich höre Ihre Stimme, ich genieße Ihre Worte, ich spüre Ihre Überlegenheit, ich ruhe mich aus in Ihrer Ruhe. Die zwei Zentner sind doch nur Anhängsel. Die können Sie ja, wenn Sie unbedingt wollen, gelegentlich ein bißchen abbauen.«
»Sie wollen mich trösten, Elietta! Aber ich schwöre Ihnen: Ich lasse mich abspecken. Sofort nach Rom gehe ich in eine Klinik und hungere mich schlank.«
»Und dann stehen Sie herum mit zerknittertem Gesicht, jeder bedauert Sie im stillen. Sie sind stolz auf die verlorenen Pfunde, aber die Nerven sind kaputt! Warum, Hellmuth? Komplexe?«
Er nickte unsicher. »Ja«, sagte er leise. »Auch jetzt.«
»Vor mir?«
»Sie sind die schönste Frau, man kann sich keine schönere erträumen. Und ich …«
»Warum sitze ich hier mit Ihnen, Hellmuth?«
»Weil Sie für mich in Rom den Dolmetscher spielen werden.«
»Hellmuth, Sie fliehen vor sich selbst! Sie wissen genau, daß das, was Sie jetzt sagen, eine Lüge ist.«
»Ich weiß es nicht.«
»Dann sage ich es Ihnen.« Sie stießen mit den Weingläsern an, sahen sich über den Rand der Gläser schweigend und lange an und tranken erst dann. Und nach diesem Blick wußten sie, daß etwas Neues zwischen ihnen geschehen war, worüber man wirklich nicht mehr zu sprechen brauchte.
»Gehen wir«, sagte sie.
Er bezahlte, sie nahmen ein Taxi, Elietta nannte eine Adresse, und er fragte nicht danach. Während sie fuhren, legte sie den Kopf gegen seine Schulter, er schob den Arm um sie, und ihre Wärme, ihr Körper, der Duft aus ihrem Haar verzauberten ihn. Sie schwiegen während der ganzen Fahrt, sahen aus dem Fenster, fühlten sich nur, und als sie etwas tiefer rutschte und ihr Kopf sich in seine Halsbeuge schmiegte, lag seine Hand auf ihrer rechten Brust. Er ließ die Hand nicht fallen, er drückte aber auch nicht zu. Er spürte nur ihre glatte Haut, die Wölbung, spitz auslaufend, die Härte der Warze, das Gefühl wie Samt.
»Wir hätten uns viel früher kennenlernen müssen«, sagte sie plötzlich leise. »Es ist furchtbar, was man alles im Leben versäumt, wieviel Zeit man verschenkt, unwiederbringliche Zeit.«
Der Wagen hielt außerhalb Roms, in der Nähe der Via Appia antiqua, vor einem mit einer hohen Mauer umgebenen Palais. Wegener sah es mit Herzklopfen, als sie ausstiegen.
»Unser Familienbesitz«, sagte sie. »Meiner. Von meinen Eltern!«
»Ach so …«
»Hättest du mich für so geschmacklos gehalten, dich in das Haus meines geschiedenen Mannes zu führen? Es gehört mir auch.«
Er folgte ihr, während das Taxi wieder abfuhr. Sie gingen durch einen Park zu dem kleinen Palais, und ehe sie noch die schwere Gittertür aufschloß, warf sie sich an ihn, umklammerte seinen Nacken und küßte ihn. Ihr Kuß war so wild, ihre Lippen waren so weit geöffnet, daß ihre Zähne über seine Lippen kratzten und er den Geschmack von Blut spürte. Es war ein Kuß, wie er ihn noch nie bekommen hatte.
»Ich liebe dich!« sagte sie mit atemloser, seltsam kindlicher Stimme. »Ich weiß nicht, warum, ich kann nichts dafür … aber ich liebe dich …«
»Ich bin auch ein anderer Mensch in deiner Nähe«, antwortete er. »Alles ist so anders, so wunderbar, so wahr geträumt. Ich bin gar nicht mehr Hellmuth Wegener.«
Irmi, dachte er, als sie die Tür aufgeschlossen hatte, das Licht anknipste und ihn der Prunk großer Vergangenheit umgab. So etwas kann auch Fritzchen Leber nicht nachbauen, dachte er plötzlich – völlig sinnlos. Und dann wieder: Irmi! Irmi, ich bin dabei, dich zu betrügen. Zum erstenmal gibt es eine andere Frau als dich! Vielleicht ist es gut so, ist es eine Prüfung des Schicksals. Versage ich auch bei Elietta, weiß ich, was ich zu tun habe.
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