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Eine glückliche Ehe

Eine glückliche Ehe

Titel: Eine glückliche Ehe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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später alles klären können? Er ahnte schon jetzt, daß es später zu spät war.
    Auf seinem Strohsack hatte er keine Ruhe.
    Da er gleich neben der Tür lag und der Schulsaal VI so etwas wie ein großes Sterbezimmer war, in das man die zerfetzten deutschen Landser trug, die man nicht mehr zusammenflicken konnte, war es ein ständiges Kommen und Gehen, ein Hineintragen von blutverschmierten, stöhnenden, wimmernden Leibern und ein Wegtragen bleicher, stummer, schlaffer Körper. Irgendwo wurden sie abgeworfen – »Da haben wir einen Keller« – sagte ein Sani zu Hasslick – »da liegen sie schon in drei Schichten übereinander« – und später auf Lastwagen verladen und weggefahren. Man machte sich nicht einmal mehr die Mühe, Totenlisten zu führen, die Namen festzustellen oder das Doppelstück der Erkennungsmarke abzubrechen, um später anhand der Nummer die Toten zu identifizieren. Wen interessierte es noch, ob man in Rußland gefallen oder vermißt war? Vor allem, wer dachte hier an später? Später war morgen, war die nächste Stunde, der nächste Atemzug. Das Leben schrumpfte zusammen zu dem Glück, ein Stück glitschiges Brot essen oder ein Glas schales Wasser trinken zu können.
    Hasslick war in ein dumpfes Dösen verfallen. Der Betrieb um ihn herum, das immerwährende Sterben ermüdete. Er dachte an Hellmuth Wegener, und wie er zu seinen Füßen verreckt war, während er schlief. Die Wunde im rechten Oberschenkel tuckerte, als habe man einen alten Kuttermotor eingebaut. Das Bein fühlte sich heiß an, aber es schmerzte kaum. Das wunderte ihn. Es ist Fieber drin, dachte er, aber man hat ein Gefühl, als vereise es langsam. Ist das so, wenn ein Glied abstirbt? Was haben sie mit meinem Bein gemacht? Wenn die Kälte weitersteigt, hinauf zum Herzen, dann wird es aus sein! Sie wird eine Witwe werden, so oder so, diese schöne blonde Irmgard aus Köln …
    Er schrak auf und hatte Mühe, die Augen zu öffnen. Jemand hatte ihn in die Seite getreten, mit einem spitzen Schuh. Die russische Ärztin stand neben ihm, und gerade, als er die Augen aufriß, stieß sie ihre Stiefelspitze wieder in seine linke Hüfte. Maria Fedorowna hatte die Haare hochgebunden. Um ihre grauen Augen lagen die Schatten der Erschöpfung wie runde schwarze Rahmen um zwei Nebelbilder.
    »Du Arzt?« sagte sie hart. »Du wirklich Arzt und liegst herum? Aufstehen!«
    »Ich bin Medizinstudent«, antwortete Hasslick.
    »Ich weiß. Hat mir gegeben deutsches Stabsarzt Papiere. Vier Semester. Deutsches Universität guttes Universität.«
    »Danke.«
    »Nix danke! Aufstehen! Operieren!«
    Operieren! Mein Gott – wie denn? Soll man jetzt schreien: Ich bin es nicht?! Sie schlagen mich tot, nicht aus Enttäuschung, sondern weil sie glauben, es sei Sabotage. Das ist ein beliebtes Wort bei ihnen. Sabotage. Ein anderes Wort für Tod.
    »Ich bin verwundet –«, sagte er und lag starr da.
    »Wo bist du verwundet?« Maria Fedorowna steckte die Hände in die Taschen ihrer Uniformhose. »Am Bein, ja? Und die Hände? Sind Hände nicht gutt? Sind Hände kaputt?! Solange Arzt noch hat Hände, er kann arbeiten! Aufstehen, los!« Sie trat ihn wieder in die Seite.
    Ein deutscher Sani, der abseits gestanden hatte, kam an Hasslicks Strohsack und lächelte die Ärztin verzerrt an. Angst war in seinem Blick. Er schien sie zu kennen, und er wußte selbst nicht, woher er den Mut nahm, dazwischenzutreten.
    »Mach keinen Scheiß, Kamerad«, sagte er zu Hasslick. »Bist du Mediziner?«
    »Ja …«
    »Dann versuche aufzustehen. Sie tritt dir die Fresse ein, kaltlächelnd. Ob du Schütze Arsch, Fähnrich oder Offizier bist – für die bist du nur ein Deutscher, und das ist ein Stück Hundekacke mehr! Kannst du hoch?«
    »Ich will's versuchen.«
    Er nahm die Hand des Sanis, ließ sich hochziehen, belastete das linke Bein und hob das verwundete etwas an. Es war gefühllos, pendelte wie knochen- und sehnenlos an seiner Hüfte, und als er ganz vorsichtig versuchte, damit aufzutreten, rutschte es weg wie schlaffer Gummi.
    »In Operationsraum III!« sagte Maria Fedorowna kalt. Sie sah Hasslick böse an, und wieder spiegelte sich als goldener Punkt die Glühbirne an der Decke in ihrer grauen Iris. »Ich warte.«
    Sie ging voraus, mit wippenden Schritten, die schlanken Beine in engen, weichen Juchtenstiefeln. Ihr rundes Gesäß schwenkte beim Gehen hin und her.
    »Man möchte sie vergewaltigen!« sagte der Sani rauh. »Jeden Tag zehnmal! So lange, bis ihr das Feuer zwischen den

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