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Eine glückliche Ehe

Eine glückliche Ehe

Titel: Eine glückliche Ehe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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irgend etwas, weil ihm nach Schreien zumute war, und krallte die Finger in seine Uniformjacke. Der Stabsarzt hob die Schultern und griff in die Tasche seines Kittels.
    »Er war schon tot, als ich kam. Sie haben so fest geschlafen, daß Sie nichts gemerkt haben. Ihren Oberschenkel kriegen wir hin. Maria Fedorowna sagte, Sie hätten sogar damit laufen können.«
    »Ist das die Ärztin?«
    »Ja.« Der Stabsarzt holte aus der Tasche einen Wehrmachtsausweis und schlug damit in seine linke Handfläche. »Der Tote ist Unteroffizier Peter Hasslick aus Osnabrück?«
    Hasslick zuckte zusammen. Er starrte auf den flachen Körper unter der Decke. Ihm wurde plötzlich schwindelig. Das ist doch Irrsinn, Hellmuth, dachte er. Das können wir doch nicht tun. Ich hab es dir versprochen, ja – aber das kann man doch nicht machen! Ich kann doch nicht ein ganzes Leben als du herumlaufen … Ich kann doch nicht mit deiner Frau … Hellmuth, das ist unmöglich …
    »Kommen Sie! Stützen Sie sich auf meine Schulter!« sagte der Stabsarzt. »Wir gehen zu meinem Verbandsraum. Wie heißen Sie, Fähnrich?«
    »Hellmuth Wegener, Herr Stabsarzt.« Ihm war speiübel. Er erhob sich, stützte sich auf den Offizier und humpelte an der zugedeckten Trage vorbei. Ich werde das alles aufklären, Hellmuth, dachte er. Ich kann nicht du sein! Ein ganzes Leben lang ein anderer sein – das halte ich nicht aus. Ich bin Schlosser, Hellmuth, du ein Akademiker, ein Medizinstudent. Da fängt's schon an! Hellmuth, ich kann mein Versprechen nicht halten.
    »Meine Papiere sind oben in der linken Rocktasche, Herr Stabsarzt«, sagte er dumpf.
    Der Arzt holte das Soldbuch heraus, las und steckte es in die Tasche zurück. »Sie sind Medizinstudent, lese ich. Viertes Semester? Na, dann kommen Sie mal, junger Kollege. Ihr Bein hat Ihnen das Leben gerettet. Für uns ist der Krieg schon Geschichte.«
    Später, nachdem man Hasslicks Wunde versorgt und die Kugel herausgeschnitten, ihm eine Tetanusinjektion gegeben und fiebersenkende Mittel in ein Glas Wasser gerührt hatte, lag er im Schulzimmer VI gleich neben der Tür an der Wand auf einem Strohsack. Ein deutscher Sani hatte ihm eine Hose gegeben. Sie war blutbefleckt und am Bund steif vom geronnenen Blut.
    »Bauchschuß«, hatte der Sani gesagt. »Ist hinüber. Sie können Sie später waschen, Herr Fähnrich. Im Moment ist Wasser verdammt knapp.«
    Um ihn herum lagen in diesem Zimmer sechzig deutsche Verwundete. Eng nebeneinander, wie eingedost, Leib neben Leib, stinkend, blutend, eiternd, fiebernd. Klumpen zerfetzten Fleisches, in denen die Hoffnung glühte: Wir überleben. Wir schaffen es. Wir kommen einmal zurück in die Heimat. Einmal … wann – daran wollen wir nicht denken.
    Und in der Nacht starben von den sechzig einundzwanzig.
    »Als die sowjetische Offensive losschlug, sind wir in Orscha geblieben«, sagte der Stabsarzt. Er saß bei Hasslick auf dem Strohsack und teilte eine Zigarette mit ihm. »Vier Ärzte, neun Sanis und vier Schwestern.«
    »Das Hohelied vom braven Mann …«
    »Quatsch!« Der Stabsarzt winkte ab. »Uns blieb nichts anderes übrig. Die Russen rückten schneller vor, als wir abrücken konnten. Für die Sankas hatten wir nicht mehr genügend Benzin. Unmöglich, das Lazarett zu räumen. Da sind wir alle geblieben, und das war gut so. Die russischen Kollegen sind zwar hilfsbereit, aber auch ihnen schlägt ihre eigene Offensive über dem Kopf zusammen.«
    Sie rauchten noch zwei Zigaretten, zwischendurch stellte der Stabsarzt noch drei Todesfälle fest und ließ die Toten aus dem Zimmer bringen.
    »Man hat uns versprochen, daß wir alle gemeinsam in Gefangenschaft gehen«, sagte er zum Abschied. »Ich freue mich, daß wir uns kennengelernt haben, Herr Wegener. Auch mit Ihren vier Semestern Medizin können Sie uns im Lager sehr helfen.«
    Hasslick starrte dem Stabsarzt nach, als er das Klassenzimmer verließ.
    Ich bin es nicht, wollte er schreien. Aber er schwieg.
    Hellmuth Wegener war als Peter Hasslick bereits in die Totenliste eingetragen.
    Später, dachte er. Später wird man das alles klären können. Im Lager, oder nach der Entlassung. In Deutschland.
    Gewiß, Hellmuths Eltern waren tot. Nach dem fragte keiner mehr – nur seine Frau. Und die hatte ihn noch nie gesehen. Und ich? Peter Hasslick? Vater schon lange tot, Mutter seit dem schweren Luftangriff auf Osnabrück vermißt. In einem Keller erstickt, verbrannt … Auch nach Peter Hasslick würde niemand mehr fragen.
    Würde er wirklich

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