Eine glückliche Ehe
man in den Arsch getreten wird und dazu ›O du fröhliche!‹ singen darf.«
»Daran werde ich mich nie gewöhnen.«
»Ich auch nicht. Darum werden wir's auch schwer haben. Wenn irgend etwas ist, Herr Wegener, kommen Sie zu mir. Ich bin immer für Sie da.«
Es war eine große Lauferei an diesem Tag.
In den Zeitungen stand – unter ›Lokales‹ – der Mord an dem Apotheker Johann Lohmann mit allen Einzelheiten. Zwei brachten sogar ein Bild von ihm, nicht von der Leiche, sondern ein Foto von dem Foto, das in der Apotheke hing und Herrn Lohmann im Alter von zweiundvierzig zeigte, als man ihn zum Vorsitzenden der Apothekerkammer ernannt hatte.
Immerhin genügten diese Meldungen, um eine Flut von Briefen in die Apotheke kommen zu lassen, nicht mit einem normalen Briefträger (diese Post würde erst am nächsten Tag eintreffen), sondern alle per Boten. Unter den Absendern waren: vier Bestattungsunternehmen, drei Blumengeschäfte, ein Steinmetz, drei stellungslose Orgelspieler, vier Hobbybildhauer, zwei anerkannte Meister der bildenden Kunst, die ein allegorisches Relief aus Mosaik vorschlugen, drei Holzschnitzer für Kreuze und Jesusfiguren mit besonders leidender Miene, eine Dekorationsfirma, spezialisiert auf die Ausschmückung von Trauerhaus und Friedhofskapelle, ein Gesangsverein, der für neue gute DM 200,- drei feierliche Totenlieder vortragen wollte, eins sogar von Gustav Mahler.
Der Tote soll nicht vergessen lassen, daß es noch genug Lebende gibt, die leben wollen.
Hellmuth Wegener seufzte, als er die Angebote mit Akribie studiert hatte, und blätterte in Lohmanns altem Familienbuch, das der Apotheker gewissenhaft geführt hatte. Hier fand Wegener, wer einmal Irmgards Mutter begraben hatte – ein kleines Unternehmen in Lindenthal, nicht weit von ihnen entfernt, günstig in der Nähe der Lindenburg gelegen, dem großen Klinikum von Köln. Das Institut nannte sich nach seinem Besitzer Fortmann, also ›Institut Fortmann, Bestattungen aller Art‹, war eine Goldgrube (bei dieser Lage!), aber Herr Fortmann, nun selbst schon sechsundsiebzig Jahre, war bescheiden geblieben, sicherlich deshalb, weil er tagtäglich sah, daß der Mensch letzten Endes nichts mitnehmen kann als ein Hemd.
Herr Fortmann drückte sein tiefstes Mitleid aus, und das war ehrlich, denn er kannte die Lohmanns seit Jahrzehnten, erinnerte sich sogar an den Sarg von Frau Lohmann, versprach, einen ebenbürtigen für den Gatten zu besorgen und auch die Rennerei zu den Behörden zu übernehmen. Friedhof? Natürlich Melaten, der Prominentenfriedhof von Köln. Eine Erbgruft – man würde Frau Lohmann gleich mit umbetten. Außerdem – da ja die Zeitungen über den Mord schrieben – sei mit einer großen ›Sehbeteiligung‹ zu rechnen. Das könne niemand abstellen, nicht einmal der liebe Gott mit Blitz, Donner und Wolkenbruch. Da war doch vor zwei Jahren der Kindesmord in Braunsfeld. War das ein Begräbnis, und das bei einem Schneesturm, daß man fast wegflog! Aber die Leute hielten aus bis zum letzten. Vor dem Schneetreiben suchten sie hinter Grabsteinen Schutz.
Und nun der beliebte Apotheker Lohmann! »Da kommen zweitausend, das sag ich Ihnen!« prophezeite Herr Fortmann. »Das sollten wir berücksichtigen bei den Blümchen, die jeder auf den Sarg streuen will.«
Wegener war alles recht. Er unterschrieb einige Formblätter, Fortmann telefonierte mit der Staatsanwaltschaft, fragte, wann er die Leiche abholen könne, und stritt sich dann mit der Friedhofsverwaltung von Melaten über einen Termin und einen repräsentativen Platz.
Wegener fuhr nach Hause, setzte sich in die leere Apotheke – draußen an der Tür hing das Schild ›Wegen Trauerfall vorübergehend geschlossen. Nächste Apotheke: Mohren-Apotheke‹, trank einen Kognak und starrte auf die Regale mit den Flaschen und Medikamentenpackungen.
Was nun, dachte er. Wie geht es weiter? Hinter mir wächst der Bau einer pharmazeutischen Fabrik in die Höhe, um mich herum ist die altberühmte Apotheke Lohmann. Das alles gehört jetzt mir, das heißt, es gehört Irmi, aber auf meinen Schultern muß ich das tragen. Und ich habe keine Ahnung davon, nicht die geringste Ahnung, bis auf das wenige, was ich dem alten Lohmann abgeguckt habe. Ein paar Grundrezepturen wie Rivanollösungen, Borwasser, ein paar Salbenmischungen … Ich kann Rezepte lesen und die Medikamente verkaufen, weil ich weiß, wo sie lagern, und wenn einer einen Rat will, etwa wegen Verstopfung, gebe ich ihm Scheißpillen,
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