Eine glückliche Ehe
Friedhofskapelle, die Sehgäste – bestimmt an die zweitausend – bevölkerten die Wege zwischen den Gräbern und warteten. Gott meinte es gut; er ließ eine helle, aber doch kühle Spätherbstsonne scheinen, der Boden war trocken, man bekam keine nassen Füße, stand nicht im Schlamm und zertrat nicht die Blumen der Gräber, die jetzt im Wege standen. In der Kirche intonierte der Orgelspieler – die Stunde 50,- DM, damals wurde Kunst noch gebührend gewürdigt – den Anfang des Trauermarsches aus Wagners ›Götterdämmerung‹, was in diesem Kreis niemand mehr als Politikum auffaßte.
»Du mußt uns hinterher alles erzählen, mein lieber Hellmuth«, sagte Hannes Lohmann. »Wo ist Irmi? Schon in der Kirche?«
»Im Krankenhaus.«
»Mein Gott! Hat sie Johanns Tod so umgeworfen?«
»Sie hat ein Kind bekommen. Unseren Jungen. Peter.«
»Das is 'n Ding!« sagte Bluttke laut. »Den Johann bringen sie um, und die Irmi kriegt zur gleichen Stunde ein Kind! Geradezu pervers …«
»Gehen wir!« Wegener wandte sich ab und rannte fast zur Friedhofskapelle. Er hörte hinter sich Bluttke keuchen, Übelkeit kam in ihm hoch. Gleich drehe ich mich um und schlage ihm in die Fresse, dachte er. Und was von Hannes Lohmann zu halten ist, das wird man noch erfahren. Sie haben sich bis zum heutigen Tag nicht gerührt, die beiden, und Johann Lohmann hat auch nie über sie gesprochen. Übrigens auch Irmi nicht, obgleich sie ihre Trauzeugen waren. Was soll ich mit ihnen anfangen? Sie scheinen die einzige Verwandtschaft zu sein. Man sollte ihnen nachher den Schnaps mit dem Trichter einschütten und sie dann nach Hamburg zurückschicken.
Hinten in der Kirche stand auch Kommissar Runckel. Er nickte Wegener zu. Weiter vorn sah Wegener Professor Goldstein, sein weißes Haar leuchtete in der Sonne, die durch die Kirchenfenster schien. Herr Fortmann kam Wegener entgegen, nahm ihn wie ein Kind an die Hand und führte ihn in die erste Sitzreihe, direkt vor den mit Blumen überhäuften und somit fast unsichtbaren Sarg. Der Orgelspieler war mitten im Trauermarsch, er intonierte ihn sehr feierlich und mit viel Gefühl.
Wegener setzte sich. Der fette Bluttke war keuchend zurückgeblieben, Wegener hörte nur, wie sich Hannes Lohmann hinter ihn setzte. Dafür nickte ihm jemand zu, der rechts von ihm saß, ein Herr mit rundem Bauch und einem kecken Bärtchen auf der Oberlippe. Über seine linke Wange lief eine lange Narbe, ein Durchzieher, wie man das bei den schlagenden Corps nennt.
Wegener erwiderte kurz das Nicken und bereitete sich auf eine unangenehme Begegnung vor. Wer ist das, dachte er. Ein Arzt? Was macht er hier neben mir auf der Ehrenbank? Auf jeden Fall ist er Vollakademiker, er hat einen Schmiß auf der Backe, von dem Leute seines Schlages träumen. Er wird mich ansprechen, und dann kommt es darauf an, wovon er redet. Flexibel sein – nur das hilft hier. Aufmerksam zuhören und erst etwas sagen, wenn man genau weiß, daß man das Richtige sagt.
Wagners Trauermarsch war zu Ende. Von der Seite nahte der Pfarrer dem Rednerpult. Der Mann mit dem Schmiß nahm die Pause wahr und beugte sich zu Wegener. »Schwangler«, sagte er. »Eduard Schwangler, nicht Schwängerer …«
Wegener atmete auf. Aha, das ist er, dachte er. Dr. Schwangler. Rechtsanwalt, Johann Lohmanns Anwalt. Gesehen hatte er ihn noch nie, aber oft war von ihm die Rede gewesen. »Er ist der beste Rechtsanwalt, den ich kenne«, hatte Lohmann einmal gesagt. »Aber es gibt auch keine zweite Erzsau wie ihn! Wenn er fünf Wörter spricht, sind vier Schweinereien dabei.«
Es schien zu stimmen. Die Vorstellung klang schon danach.
Wegener lehnte sich gegen die Banklehne und hörte dem Pfarrer zu, der nach Eingangsgebet und Bibelspruch das Leben des Apothekers Lohmann noch einmal aus seiner Sicht abrollen ließ. Danach war Lohmann ein gläubiger Mensch gewesen, der bei jeder Kirchensammlung immer einen anständigen Betrag gestiftet hatte, womit nun leider nicht mehr zu rechnen war. »Eine wertvolle Quelle des Lebens ist versiegt«, sagte der Pfarrer ergriffen. »Johann Lohmann war immer für die anderen da – als Apotheker, als Mensch, als Christ. Ein Samariter im alten Sinne, auf den man sich verlassen konnte.«
Dabei sah der Pfarrer mit deutlichem Blick Hellmuth Wegener an. Wie steht's mit dir, hieß die stumme Frage. Wegener erwiderte den Blick kühl und abwehrend, kreuzte die Arme vor der Brust und sah auf den unter den Blumen verschwindenden Sarg. Sicher verwaltete Dr.
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