Eine große Zeit
erlegen.
Du kennst das Mädchen meiner Träume:
Du bist es, Tag und Nacht mein Segen.«
Cerridwyn war sichtlich beeindruckt – ja sogar bewegt. Vielleicht war es das erste Mal, dass man ihr Lyrik vortrug.
»Das haben Sie nie im Leben selbst geschrieben«, sagte sie. »Das haben Sie auswendig gelernt.«
»Ich kann es zwar nicht beweisen, aber auch nicht leugnen: Jeder einzelne Buchstabe stammt von mir.«
»Tja – hört sich gut an. Wie ging noch mal die letzte Zeile?«
»Du bist es, Tag und Nacht mein Segen.«
Auf einmal verspürte er den Drang, sich auf sie zu stürzen, ihre Satinbluse aufzuknöpfen und ihre grellen Haare zu lösen. Und er erkannte sogleich, dass ihr die Veränderung in seinem Blick aufgefallen war. Wie kommt das zustande?, fragte er sich. Was sind das für atavistische Signale, die wir ungewollt aussenden?
»Montag ist mein freier Tag«, sagte sie absichtsvoll.
»Montag fahre ich auf Urlaub nach London«, erwiderte er.
»Ich war noch nie in London.«
»Warum kommen Sie nicht einfach mit?«
»Dann können Sie mir die Stadt zeigen.«
»Das würde ich sehr gern tun.« Er musste verrückt sein, dachte Lysander. »Wir treffen uns hier am Bahnhof. Um neun. Am Fahrkartenschalter.«
»Ach, Sie werden ja doch nicht kommen.«
»Ich komme ganz bestimmt.«
»Wie heißen Sie?«, fragte sie, als wollte sie seine Ehrlichkeit auf die Probe stellen.
»Lysander Rief.«
»Seltsamer Name.«
»Nicht seltsamer als Cerridwyn.«
Merrilees kam auf Lysander zugetaumelt und sagte, sie sollten nun besser gehen.
»Montag früh um neun«, rief Lysander über die Schulter, während er Merrilees am Ellbogen fasste und ihn zum Ausgang führte.
Auf dem Rückweg zum Sägewerk wurden pausenlos anzügliche Witzchen über Lysander und die Bardame gemacht. Lysander hörte weg und überließ die anderen ihren zotigen Mutmaßungen. Er gab sich angenehmen Vorstellungen hin: Der Zug nach London, ein schnelles Mittagessen in einem Steakhaus oder einer Austernbar. Ein kleines Hotel, das er in Paddington entdeckt hatte. Am Morgen würde Cerridwyn mit dem Milchzug nach Swansea zurückfahren. Für sie beide ein Abenteuer.
Vor dem Tor zum Sägewerk stand Feldwebel Mott und spielte mit seinem langen Schlagstock. Von Lysander abgesehen, waren sie alle sturzbesoffen. Merrilees salutierte, dann fiel er hin.
»Hau schon ab, du Mistkerl«, sagte Mott. »Mich interessiert bloß der Schauspieler.«
Die anderen waren im Nu verschwunden.
»Ich bin nicht betrunken«, sagte Lysander. »Ehrlich nicht. Hab mir nur ein paar Bierchen genehmigt.« Er hatte Angst vor Mott.
»Mir doch egal«, entgegnete Mott. »Im Büro wartet jemand auf Sie.«
Hauptmann Dayson, der Kompaniechef, hatte auf der anderen Hofseite im Bürogebäude des Sägewerks Quartier bezogen. Lysander knöpfte seine Uniformjacke zu, rückte seine Mütze zurecht und klopfte an die Tür.
»Ah, Rief, da sind Sie ja«, sagte Dayson in seinem üblichen schleppenden Tonfall. Faul, wie er war, freute er sich maßlos über den Einsatz im Internierungslager und hoffte, er würde bis zum Kriegsende vorhalten. »Sie haben Besuch.«
Lysander trat ein.
Alwyn Munro erhob sich. Er trug Uniform, und Lysander fielen die Oberstabzeichen an seinen Schultern auf. Er war befördert worden. Lysander vergaß nicht zu salutieren.
»Sie sind schwer zu finden, Rief«, sagte Munro und gab ihm die Hand.
»Was kann ich für Sie tun?«, fragte Lysander, während ihm tausend andere Fragen durch den Kopf gingen.
»Das werde ich Ihnen auf unserer Fahrt nach London erklären«, antwortete Munro. »Draußen wartet ein Automobil. Wollen Sie vielleicht noch Ihre Sachen packen?«
8. Autobiographische Untersuchungen
Die Fahrt brachte keinerlei Erkenntnisse. Ich saß neben Munro auf der Rückbank eines großen Militärfahrzeugs, an dessen vorderen Kotflügel eine Art Wimpel flatterte, während wir nach London brausten. Als wir Swansea hinter uns gelassen hatten, bot Munro mir eine Zigarette an, und ich fragte ihn, was eigentlich los sei.
»Wissen Sie was?«, sagte er, als wäre ihm der Gedanke gerade erst gekommen, »Sie sollten erst mal Ihren wohlverdienten Urlaub genießen. Entspannen Sie sich, lassen Sie es sich gutgehen. Am nächsten Montag melden Sie sich dann bei dieser Adresse. In Zivil.«
Er zog ein kleines Notizbuch hervor und notierte Straße und Hausnummer.
»Und was passiert dann?«, fragte ich.
»Sie erhalten neue Anweisungen«, antwortete er, ziemlich kühl, wie ich fand, wie um mir
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