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Eine große Zeit

Eine große Zeit

Titel: Eine große Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Boyd
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Ausschau hielt, der eine Stunde zuvor eingetroffen war und Saatkartoffeln für seinen Gemüsegarten kaufen wollte.
    Er fand seinen Onkel beim Cricketfeld, wo man für einen Sixpence als Werfer gegen zwei führende Schlagmänner des Cricket Club von Sussex County antreten konnte – Vallance Jupp und Joseph Vine.
    Hamo war vom Schauspiel sichtlich gebannt.
    »Nicht zu fassen, wie gut manche Kinder schon sind«, sagte er. »Dieser Knirps hat Jupp eben in einem Over zweimal ausgebowlt. Eine Blamage für den Schlagmann – der Ball ist 60 Zentimeter weit geflogen.«
    »Hast du von Femi gehört?«, fragte Lysander. Er wusste, dass Femi nach Westafrika zurückgekehrt war, weil er in Winchelsea vor Heimweh verging.
    »Er ist in Lagos angekommen. Viel mehr werde ich wohl nicht erfahren. Er hat Geld und spricht jetzt gut Englisch – er wird es schon packen … « Hamo blickte nach Süden, in Richtung Ärmelkanal, in Richtung Afrika, symbolisch gesehen. »Der letzte Winter hat ihm den Rest gegeben – und das ständige Gestarre. Erstaunlich, wie unhöflich Engländer sein können, wenn ihnen etwas fremd ist. Sobald dieser Krieg aus ist, fahre ich Femi nach. Wir könnten zusammen ein Unternehmen aufziehen, ein bisschen Handel treiben.« Hamo richtete seinen funkelnden hellblauen Blick auf Lysander. »Ich habe ihn wirklich ins Herz geschlossen, weißt du. Es vergeht kein Tag, an dem ich ihn nicht vermisse. Ein durch und durch aufrichtiger, liebenswerter Mensch. Rechtschaffen und loyal.«
    »Wie schön für dich«, sagte Lysander, bevor er das Thema wechselte. »Crickmay geht es offenbar gar nicht gut.«
    »Er kann praktisch nicht mehr atmen. Leidet an einer Art Lungenstauung. Wenn er nur zehn Schritte geht, muss er sich danach fünf Minuten ausruhen. Ein Glück, dass deine Mutter mit ihren Wohltätigkeitsprojekten beschäftigt ist. Sonst würde sie wohl nur dasitzen und auf seinen Tod warten.«
    Sie schlenderten gemeinsam weiter über die Kirmes. Eine riesige Menschenmenge scharte sich um ein Artilleriegeschütz – eine Haubitze – und um ein kleines, kompaktes Flugzeug mit stumpfer Nase, das aus bestrichenem Segeltuch und Streckdraht bestand. Lysander fiel ein Rekrutierungszelt der E.S.L.I. auf, vor dem sich eine stattliche Schlange bildete. Swansea erwartete die jungen Männer.
    »Mir wird gerade bewusst, wie belanglos mein Soldatenleben bisher verlaufen ist«, sagte Lysander, als er mit seinem Onkel an der Schlange vorbeiging.
    »Sei froh«, antwortete Hamo. »Krieg ist eine scheußliche Angelegenheit.«
    »Ich habe allerdings das Gefühl, dass alles nun eine Wende nehmen wird.«
    Lysander erzählte Hamo von Munros Besuch in Swansea und den neuen Weisungen.
    »Kommt mir ziemlich merkwürdig vor«, sagte Hamo. »In Zivil? Tu ja nichts Unbedachtes.«
    »Ich werde wohl kaum Bedenkzeit bekommen«, erwiderte Lysander. »Man hat mir sehr deutlich zu verstehen gegeben, dass ich die Befehle befolgen muss.«
    »Jeder Idiot kann Befehle ›befolgen‹«, sagte Hamo finster. »Es kommt darauf an, wie man sie interpretiert.«
    »Das merke ich mir.«
    Hamo blieb stehen und fasste ihn am Arm.
    »Gib Bescheid, falls du jemals Hilfe brauchst, mein Junge. Ich habe noch ein paar Freunde beim Militär. Und ich bin selbst das eine oder andere Mal in Schwierigkeiten geraten. Ich habe Dutzende von Männern getötet. Nicht dass ich darauf stolz wäre – nicht im Geringsten. Aber es ist nun mal eine Tatsache.«
    »Ich glaube zwar nicht, dass ich in diese Verlegenheit kommen werde, aber trotzdem vielen Dank.«
    Hamo und Lysander ließen das Gedränge im Park hinter sich, gerade, als beim Sackhüpfen der Sieger ins Ziel lief und lauter Jubel aufstieg, und gingen über die Einfahrt zum Haus, wo das Mittagessen auf sie wartete.

10. Der Code
    Straße und Nummer entpuppten sich als ein vierstöckiges Reihenhaus in Islington, das Kellergeschoss befand sich unterhalb eines Lanzettengeländers aus Eisen, das Erdgeschoss war mit Stuck und einem Erkerfenster versehen und die beiden Obergeschosse bestanden aus rußgeschwärztem Backstein. Harmloser, banaler ging es nicht, dachte Lysander, als er klingelte. Ein einfacher Matrose in Uniform machte ihm die Tür auf und führte ihn ins Wohnzimmer. Es war so gut wie leer – mittendrin stand ein Stuhl hinter einem Klapptisch, vor dem weitere drei Stühle gruppiert waren. Lysander legte Regenmantel und Hut ab und nahm Platz. Er trug einen Dreiteiler aus grauem Flanell mit dezentem Karomuster, ein Hemd mit

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