Eine Hand voll Asche
zweimal die Gelegenheit gehabt, orthopädischen Operationen beizuwohnen – einer Hüftgelenkersatz-OP und einer Fusion im Bereich der Halswirbelsäule –, und beide Male hatte ich über die Kombination aus präziser Kontrolle und blutiger, brutaler Kraft gestaunt. Besonders die HWS-OP war eine erstaunlich fein abgestimmte Vorstellung seitens eines Neurochirurgen und eines Orthopäden gewesen. Zuerst zogen und meißelten sie drei zerbröckelte Bandscheiben aus dem Hals des Patienten, wobei sie bisweilen nur Millimeter vom Rückenmark entfernt bohrten, klopften dann Stifte aus präzise maschinell bearbeitetem Knochen zwischen die zusammengesunkenen Wirbel und schraubten schließlich eine gebogene Titan-Stütze vorne an den Hals, um die Wirbelsäule zu stützen, solange die Knochen zusammenwuchsen. Während die beiden Ärzte bohrten, klopften und schraubten, konnte ich nicht umhin, sie mit Kunsttischlern zu vergleichen. Die Hüftgelenks-OP war im Vergleich dazu Zimmermannsarbeit – das proximale Ende des Femurs absägen, ein Loch in den Knochenschaft; bohren und dann den Stiel der Prothese in die Öffnung hämmern.
Die Leiche auf dem Hügel – Leiche 67-07, die siebenundsechzigste Leiche im Jahr 2007 – war nach drei Wochen fast vollkommen skelettiert. Die Metallknie schimmerten trüb; dort, wo die arthritischen Gelenke abgesägt und entfernt worden waren, waren noch schwache Sägespuren zu sehen. Bemerkenswert , dachte ich, dass Menschen wieder gehen können , nachdem man ihnen die Knie rausgehackt hat .
Das Verb »raushacken« hatte der Chirurg wahrscheinlich nicht benutzt, als er dem Mann erklärte, was bei der Operation geschehen würde, doch der Blick auf die den Knochen bei der Operation zugefügten Verletzungen schien das drastische Verb durchaus zu rechtfertigen.
Das Dröhnen eines Hubschraubers, der tief über den Bäumen flog, riss mich aus meinen Gedanken. Der Rettungshubschrauber von LifeStar flog auf dem Weg zum und vom Heliport des Krankenhauses oft direkt über die Body Farm, doch dieser Hubschrauber nahm nicht die übliche Route. Die Neigung der Rotorblätter wirkte viel zu steil und hektisch, und der Hubschrauber flog wiederholt abrupt einen Bogen und ging waghalsig in Schräglage. Ein Einsatzhorn – dann zwei, dann mehr – jaulte aufs Krankenhaus zu, und ein zweiter Hubschrauber stimmte in den Lärm ein.
Über dem anwachsenden Getöse hörte ich plötzlich meinen Namen. »Dr. Brockton! Dr. B., wo sind Sie?« Es war Miranda, und in ihren Worten hörte ich etwas, was ich niemals von Miranda Lovelady zu hören erwartet hätte: Ich hörte Angst.
»Bill!«, rief eine männliche Stimme, und ich sah Art Bohanan auf mich zulaufen, Miranda zwei Schritte hinter ihm. Arts Gesicht war gerötet, seine Augen blitzten scharf wie ein Laser, und er hatte die Waffe gezogen.
»Was um alles in der Welt!«
Art sagte nicht viel, doch als ich das vierte Wort hörte, spürte ich, wie meine Knie weich wurden.
»Garland Hamilton ist entwischt«, sagte er.
8
Art packte mich an einem Arm und Miranda am anderen, und zusammen schleiften sie mich praktisch den Hang hinunter, über die Lichtung und durchs Tor der Body Farm. Miranda blieb gerade lange genug stehen, um die Tore zu schließen und die Vorhängeschlösser einrasten zu lassen, während Art mich zu meinem Pick-up führte, wo er zuerst einen Blick hinein und sogar darunter warf, bevor er mir erlaubte einzusteigen.
Sobald Miranda in ihrem Auto saß, sprang Art in sein ziviles Einsatzfahrzeug, einen Sedan, und schaltete das Einsatzhorn ein und das Blaulicht, das im Kühlergrill versteckt war. Mit Mirandas Jetta als Nachhut leitete Art uns in einer Wolke qualmender Reifen vom Krankenhauskomplex weg. Als wir in Richtung Alcoa Highway auf den Cherokee Trail rasten, röhrte ein halbes Dutzend Polizeifahrzeuge – die Polizei von Knoxville, der Sheriff von Knox County und die Autobahnpolizei – in entgegengesetzter Richtung an uns vorbei.
Fünf Minuten später saßen Art, Miranda und ich um meinen Schreibtisch unter dem Neyland-Stadion und beäugten uns bedrückt. »Wie konnte das passieren?«, fragte ich. »Wo? Wann? Der Prozess geht doch bald los, da hätte ich erwartet, dass sie Hamilton scharf bewachen.«
Art seufzte. »Hätte ich auch gedacht.«
»War er im Untersuchungsgefängnis von Knox County? Zum Teufel, die haben da draußen Hunderte von Kameras … Da kann doch ein Inhaftierter nicht in der Nase bohren, ohne dass drei Kameras die Popel für die
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