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Eine handvoll Dunkelheit

Eine handvoll Dunkelheit

Titel: Eine handvoll Dunkelheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip K. Dick
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Tage Halbleben waren noch übrig. Automatisch preßte er einen Verstärker gegen die Hülle des Glassarges, schaltete ihn ein und kontrollierte die Gehirnaktivität.
    Leise drang es aus dem Lautsprecher: »... und dann hat Tillie sich den Fuß verstaucht und wir dachten schon, es würde niemals wieder heilen; sie hat sich so darüber geärgert, wo sie doch sofort wieder gehen wollte ...«
    Befriedigt löste er den Verstärker und wies einen Arbeiter an, die Nummer 305403-B zur Verladeplattform zu schaffen, wo der Kunde sie in seinen Kopter oder in sein Auto verstauen konnte.
    »Sie haben sie überprüft?« fragte der Kunde, als er die Gebühr bezahlte.
    »Persönlich«, versicherte Herb. »Alles funktioniert perfekt.« Er lächelte den Kunden an. »Einen schönen Wiederauferstehungstag, Mr. Ford.«
    »Danke«, nickte der Kunde und begab sich zur Verladeplattform.
    Wenn es mit mir zu Ende geht, sagte sich Herb, werde ich verfügen, daß mich meine Erben in jedem Jahrhundert für einen Tag erwecken. Auf diese Weise kann ich das weitere Schicksal der Menschheit verfolgen. Aber das würde für seine Nachkommen hohe Kosten verursachen, und zweifellos würden sie sich früher oder später über die Verfügung hinwegsetzen, seinen Körper aus der Frostpackung nehmen und ihn – Gott behüte – beerdigen.
    »Beerdigungen sind barbarisch«, knurrte Herb laut. »Ein Überbleibsel der primitiven Ursprünge unserer Zivilisation.«
    »Ja, Sir«, stimmte Miß Beasman zu, seine Sekretärin, die an der Schreibmaschine saß.
    In der Gruft unterhielt sich eine Anzahl Kunden mit ihren halblebendigen Verwandten, in tiefer Abgeschiedenheit, getrennt durch die Gänge zwischen den Särgen. Es war ein beruhigender Anblick, treue Besucher, die regelmäßig kamen und ihren Angehörigen huldigten. Sie berichteten die Neuigkeiten, die sich in der Außenwelt ereignet hatten, und erfreuten so die melancholischen Halblebenden, wenn ihre zerebrale Aktivität zurückkehrte. Und – sie bezahlten Herb Schönheit von Vogelsang; es war ein profitables Geschäft, eine Leichenhalle zu führen.
    »Mein Vater wirkt ein wenig schwach«, sagte ein junger Mann und lenkte Herbs Aufmerksamkeit auf sich. »Könnten Sie vielleicht ein paar Minuten erübrigen und ihn sich anschauen? Ich wäre Ihnen wirklich sehr dankbar dafür.«
    »Gewiß«, nickte Herb und begleitete den Kunden durch den Gang zu seinem verschiedenen Verwandten. Der Laufzettel verriet, daß ihm nur noch einige Tage blieben; dies erklärte seine nachlassende Vitalität. Aber dennoch – er drehte den Verstärker höher, und die Stimme des Halblebenden klang nun um eine Spur kräftiger. Er ist fast am Ende, dachte Herb. Es war offensichtlich, daß der Sohn den Laufzettel ignorierte und nicht wahrhaben wollte, daß die Verbindung zu seinem Vater nicht mehr lange bestehen würde. Also sagte Herb nichts; er ging davon und überließ den Sohn seinem Gespräch mit dem Vater. Warum es ihm erklären? Warum ihm die schlechte Nachricht übermitteln?
    Ein Lastwagen war auf der Verladeplattform erschienen, und zwei Männer sprangen heraus, bekleidet mit den vertrauten blaßblauen Uniformen. Atlas Interplan Spedition, erkannte Herb. Sie brachten einen neuen Halblebenden, oder sie wollten einen abholen, dessen Uhr endgültig abgelaufen war. Er trat auf sie zu. »Ja, meine Herren?« fragte er.
    Der Fahrer des Lasters lehnte sich aus dem Fenster und erklärte: »Wir bringen Ihnen Mr. Louis Sarapis. Haben Sie einen Platz für ihn bereitgehalten?«
    »Selbstverständlich«, entgegnete Herb sofort. »Aber ich kann Mr. St. Cyr nicht erreichen, um den Plan zu erstellen. Wann soll er wieder zurück ins Leben geholt werden?«
    Ein Mann mit schwarzen Haaren und funkelnden schwarzen Knopfaugen stieg aus dem Wagen. »Mein Name ist John Barefoot. Nach dem Testament bin ich für Mr. Sarapis verantwortlich. Er soll sofort erweckt werden; so lauten meine Anweisungen.«
    »Ich verstehe«, nickte Herb. »Nun gut. Bringen Sie ihn herein, und wir werden ihn unverzüglich wiederbeleben.«
    »Es ist kalt hier«, bemerkte Barefoot.
    »Das ist auch erforderlich«, entgegnete Herb.
    Die Männer trugen den Sarg heraus. Herb erhaschte einen kurzen Blick auf den toten Mann, auf das breite, graue Gesicht, an dem noch etwas Gips von der Totenmaske haftete. Ein beeindruckender alter Ganove, dachte er. Gut für uns alle, daß er endlich tot ist, trotz seines Einsatzes für wohltätige Zwecke. Denn wer will schon Almosen? Vor allem von ihm?

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