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Eine handvoll Dunkelheit

Eine handvoll Dunkelheit

Titel: Eine handvoll Dunkelheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip K. Dick
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seiner Zimmer vermieten konnte, einige zweifellos an ältere, pensionierte Menschen. Offenbar war Kathy daran gewöhnt, in bescheidenen Verhältnissen zu leben.
    Der Portier deutete auf das angrenzende Café, als er nach ihr fragte. »Sie werden sie dort beim Frühstück antreffen. Sie sagte, daß Sie kommen, Mr. Barefoot.«
    Im Café war es voll; er blieb kurz stehen und fragte sich, wer von den Gästen wohl Kathy sein mochte. Das dunkelhaarige Mädchen mit den erstarrten, erfroren wirkenden Gesichtszügen, das in der gegenüberliegenden Ecke saß? Er ging auf sie zu. Ihr Haar, stellte er fest, war gefärbt. Ohne Make-up wirkte sie unnatürlich blaß; ihr Antlitz war ausdrucksstark, als ob sie sehr viel Leid erlitten hatte, und nicht von der Art, die lehrreich oder formend war und einen in einen »besseren« Menschen verwandelte. Es war reiner Schmerz gewesen, ohne erlösende Aspekte, entschied er, als er sie musterte.
    »Kathy?« fragte er.
    Das Mädchen drehte den Kopf. Ihre Augen waren leer; ihr Gesicht vollkommen unbewegt. Mit dünner Stimme sagte sie: »Ja. Sind Sie Johnny Barefoot?« Als er an den Tisch trat und sich setzte, sah sie ihn an, als würde sie annehmen, er wolle sie anspringen, sich auf sie werfen und – Gott behüte – sexuell mißbrauchen. Als ob sie nichts anderes ist als ein einsames, kleines Tier, dachte er. In einer Ecke zusammengekauert, die ganze Welt vor sich.
    Ihre Farbe, oder vielmehr das Fehlen der Farbe, konnte von der Drogensucht herrühren, überlegte er. Aber dies erklärte nicht die Ausdruckslosigkeit ihrer Stimme und den völligen Mangel an Interesse. Und dennoch – sie war schön. Sie besaß hübsche, ebenmäßige Gesichtszüge ... wäre noch Leben in ihnen, hätten sie anziehend gewirkt. Und wahrscheinlich war dies einst, vor vielen Jahren, der Fall gewesen.
    »Ich habe nur noch fünf Dollar«, erklärte Kathy. »Mein ganzes Geld habe ich für das Hinflugticket und mein Hotel und mein Frühstück ausgegeben. Könnten Sie ...« Sie zögerte. »Ich bin mir nicht ganz sicher, was ich tun soll. Könnten Sie mir sagen ... gehört mir schon etwas? Etwas von dem Besitz meines Großvaters? Damit ich mir davon etwas nehmen kann?«
    »Ich werde Ihnen einen Scheck über einhundert Dollar ausstellen«, versprach Johnny, »und Sie können sie mir irgendwann zurückzahlen.« Er griff nach seinem Scheckheft.
    »Wirklich?« Sie schien verblüfft zu sein, und jetzt begann sie ein wenig zu lächeln?. »Wie vertrauensvoll von Ihnen. Oder wollen Sie mich beeindrucken? Sie waren der PR-Mann meines Großvaters, nicht wahr? Wie sind Sie im Testament bedacht worden? Ich kann mich nicht daran erinnern; alles ging so schnell, war so verwirrend.«
    »Nun«, entgegnete er, »ich wurde nicht entlassen wie Claude St. Cyr.«
    »Dann werden Sie bleiben.« Das schien sie zu erleichtern. »Ich frage mich ... stimmt es, daß Sie nun für mich arbeiten?«
    »So kann man das ausdrücken«, nickte Johnny. »Vorausgesetzt Sie können einen PR-Mann brauchen. Vielleicht sind Sie anderer Meinung. Die Hälfte der Zeit war sich auch Louis nicht sicher.«
    »Sagen Sie mir, welche Anstrengungen unternommen worden sind, um ihn wiederzuerwecken.«
    Kurz erklärte er ihr, was man versucht hatte.
    »Und das ist noch nicht allgemein bekannt?« fragte sie.
    »Gewiß nicht. Ich weiß es, ein Institutsbesitzer mit dem ungewöhnlichen Namen Herb Schönheit von Vogelsang weiß es, und vermutlich ist die Neuigkeit auch einer Anzahl hochrangiger Leute im Frachtgeschäft inzwischen zu Ohren gekommen. Natürlich, wenn die Zeit vergeht und Louis sich nicht meldet, keine Presseerklärungen abgibt ...«
    »Das werden wir übernehmen«, sagte Kathy. »Und so tun, als stammten sie von ihm. Das wird Ihre Aufgabe sein, Mr. Barefoot.« Sie lächelte erneut. »Mein Großvater wird Presseerklärungen abgeben, bis er schließlich wiederbelebt worden ist oder wir aufgeben. Glauben Sie, daß wir werden aufgeben müssen?« Nach einer Pause fügte sie leise hinzu: »Ich würde ihn gern sehen. Wenn ich darf. Wenn Sie damit einverstanden sind.«
    »Ich werde Sie zum Geliebte-Menschen-Bestattungsinstitut bringen. Ich muß sowieso in ein paar Stunden dort sein.«
    Kathy nickte und machte sich wieder an ihr Frühstück.
     
    Als Johnny Barefoot neben dem Mädchen stand, das wie gebannt den gläsernen Sarg betrachtete, kam ihm ein bizarrer Gedanke. Vielleicht wird sie an das Glas klopfen und sagen: »Großvater, steh auf.« Und, dachte er, das wird Erfolg

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