Eine handvoll Dunkelheit
Antwort. »Es sieht nicht wie die Erde aus, Kapitän. Ist es wirklich die Erde?«
»Ja!«
Ihr Blick wanderte über den Ozean. Ein seltsamer Ausdruck flackerte über ihr müdes Gesicht und erfüllte ihre verblichenen Augen mit plötzlichem Hunger. »Ist das Wasser? Ich möchte es sehen.«
Andrews wandte sich an Norton. »Holen Sie den Gleiter. Fliegen Sie sie, wohin sie will.«
»Ich?« stieß Norton wütend hervor.
»Das ist ein Befehl.«
»Schon gut.« Widerwillig kehrte Norton zum Schiff zurück. Andrews entzündete mürrisch eine Zigarette und wartete. Schließlich löste sich der Gleiter vom Schiff und schwebte über das Aschefeld auf sie zu.
»Du kannst ihr alles zeigen, was sie will«, teilte Andrews dem Robotdiener mit. »Norton wird euch fliegen.«
»Danke, Sir«, sagte der Robotdiener. »Sie wird Ihnen sehr dankbar sein. Ihr ganzes Leben lang sehnte sie sich nach der Erde. Sie erinnert sich, daß ihr Großvater viel über die Erde erzählt hat. Sie glaubt, daß er von der Erde stammte und sie vor langer Zeit verlassen hat. Sie ist sehr alt. Sie ist das letzte lebende Mitglied ihrer Familie.«
»Aber die Erde ist doch nur ein ...« Andrews besann sich rechtzeitig. »Ich meine ...«
»Ja, Sir. Aber sie ist sehr alt. Und sie hat viele Jahre darauf gewartet.« Der Robotdiener drehte sich zu der alten Frau um und führte sie langsam zum Gleiter. Benommen sah Andrews ihnen nach, rieb sich das Kinn und runzelte die Stirn.
»Alles klar«, ertönte Nortons Stimme aus dem Gleiter. Er öffnete die Luke, und der Robotdiener geleitete die alte Frau vorsichtig hinein. Hinter ihnen schloß sich das Schott wieder.
Einen Moment später huschte der Gleiter über die salzverkrustete Ebene in Richtung auf den häßlichen, schmatzenden Ozean.
Ruhelos wanderten Norton und Kapitän Andrews an der Küste entlang. Die Nacht brach herein. Wolken aus feinen Salzkörnern umtanzten sie. Die Schlammtümpel verbreiteten in der zunehmenden Dunkelheit einen durchdringenden Gestank. Trüb und fern verblaßte eine Bergkette in der Stille und den Schatten.
»Nur zu«, sagte Andrews. »Was geschah dann?«
»Das war alles. Sie verließ den Gleiter zusammen mit dem Robotdiener. Ich blieb drinnen. Sie standen da und sahen über den Ozean. Nach einer Weile schickte die alte Frau den Robotdiener zurück in den Gleiter.«
»Warum?«
»Keine Ahnung. Ich schätze, daß sie allein sein wollte. Eine Zeitlang stand sie so am Strand und blickte über das Wasser. Der Wind wurde heftiger. Mit einmal schien sie sich hinzusetzen. Sie sank zu einem Häufchen zusammen, mitten in der Salzasche.«
»Und dann?«
»Während ich um meine Fassung rang, sprang der Robotdiener hinaus und rannte auf sie zu. Er hob sie hoch. Einen Moment blieb er stehen und näherte sich dann dem Wasser. Ich sprang aus dem Gleiter und begann zu brüllen. Er ging ins Wasser und verschwand. Versank in dem Schlamm und dem Tang. Verschwand.« Norton fröstelte. »Mit ihrem Leichnam.«
Wütend warf Andrews seine Zigarette fort. Die Zigarette rollte davon und glühte noch eine Weile in der Dunkelheit. »Noch etwas?«
»Nichts. Alles war in wenigen Sekunden vorbei. Sie stand da und sah über das Wasser. Plötzlich erzitterte sie – wie ein abgestorbener Ast. Dann stürzte sie. Und der Robotdiener war aus dem Gleiter und mit ihr im Wasser, bevor ich überhaupt begriff, was dort geschah.«
Der Himmel war nun fast schwarz. Große Wolken zogen an den blassen Sternen vorbei. Wolken aus ungesundem Nachtdunst und Staubpartikeln. Ein Schwarm riesiger Vögel kreiste am Horizont und flog lautlos davon.
Über die zernarbten Berge stieg der Mond auf. Eine kränklich wirkende, öde Kugel, die schwach gelb verfärbt war. Wie altes Pergament.
»Kehren wir zum Schiff zurück«, erklärte Andrews. »Mir gefällt dieser Ort hier nicht.«
»Ich verstehe nicht, wie das geschehen konnte. Die alte Frau.« Norton schüttelte den Kopf.
»Der Wind. Radioaktiv verseucht. Ich habe mich auf Centauri II erkundigt. Der Krieg hat das ganze System verwüstet. Danach war der Planet nur noch ein toter Steinball.«
»Dann werden wir nicht ...«
»Nein. Wir werden uns nicht dafür zu verantworten haben.« Eine Weile gingen sie schweigend weiter. »Wir brauchen uns nicht zu rechtfertigen. Es liegt klar auf der Hand. Jeder, der hierher kommt, vor allem ein alter Mensch ...«
»Nur, daß niemand hierher kommt«, unterbrach Norton verbittert. »Besonders kein alter Mensch.«
Andrews antwortete nicht.
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