Eine handvoll Dunkelheit
Er schritt weiter, den Kopf gesenkt, die Hände in den Taschen. Stumm folgte ihm Norton. Über ihnen wurde der eine Mond heller, als er höher stieg und eine klare Stelle am Himmel erreichte.
»Nebenbei gesagt«, fuhr Norton fort, und seine Stimme klang kalt und abweisend, »dies ist die letzte Reise, die ich mit Ihnen gemacht habe. Auf dem Schiff habe ich schon das vorgeschriebene Formular ausgefüllt und um neue Papiere gebeten.«
»Oh.«
»Ich dachte, es wäre besser, Ihnen das zu sagen. Und meinen Anteil an dem Kilokredit können Sie behalten.«
Andrews errötete und beschleunigte seine Schritte, so daß Norton hinter ihn zurückfiel. Der Tod der alten Frau hatte ihn betroffen gemacht. Er setzte eine neue Zigarette in Brand und warf sie kurz darauf wieder fort.
Zum Teufel – es war nicht seine Schuld. Sie war alt gewesen. Dreihundertfünfzig Jahre. Senil und taub. Ein Blatt, das vom Wind fortgeweht wurde. Von dem giftigen Wind, der ewig über das verwüstete Gesicht des Planeten heulte und pfiff.
Das verwüstete Gesicht. Salzasche und Trümmer. Die zernarbte Silhouette verwitterter Berge. Und die Stille. Die immerwährende Stille. Nichts als der Wind und das Schmatzen des dicken, trägen Meeres. Und am Himmel die schwarzen Vögel.
Etwas glitzerte. Etwas vor seinen Füßen, in der Salzasche. Reflektierte den fahlen Mondschein.
Andrews bückte sich und tastete in der Dunkelheit. Seine Finger schlossen sich um etwas Hartes. Er hob die kleine Scheibe auf und untersuchte sie.
»Seltsam«, sagte er.
Sie befanden sich bereits tief im Raum, auf dem Rückweg nach Fomalhaut, als er sich an die Scheibe erinnerte.
Er trat vom Kontrollpult zurück und suchte in seinen Taschen danach.
Die Scheibe war abgegriffen und dünn. Und schrecklich alt. Andrews polierte und reinigte sie mit seinem Speichel, bis sie sauber genug war, um etwas zu erkennen. Eine verblaßte Imprägnierung – sonst nichts. Er drehte sie. Ein Amulett? Eine Belegscheibe? Eine Münze?
Auf der Rückseite befanden sich einige unverständliche Buchstaben. Irgendeine uralte, vergessene Schrift. Er hielt die Scheibe in das Licht, bis die Buchstaben deutlicher zu lesen waren.
E PLURIBUS UNUM*
Er zuckte die Achseln, warf das alte Metallstück in den Abfallbehälter neben dem Kontrollpult und richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf die Sternkarten, die Heimatwelt ...
* Lateinische Inschrift auf amerikanischen Münzen. (Anmerkung des Übersetzers)
Der unermüdliche Frosch
(THE INDEFATIGABLE FROG)
»Zeno war der erste große Wissenschaftler«, erklärte Professor Hardy und sah sich ernst im Klassenraum um. »Nehmen Sie zum Beispiel sein Paradoxon von dem Frosch und dem Brunnen. Wie Zeno bewies, wird der Frosch niemals den Brunnenrand erreichen. Jeder Sprung ist halb so groß wie der vorhergegangene; eine kleine, aber vorhandene Strecke bleibt immer übrig, die er noch zurücklegen muß.«
Stille trat ein, während die Studenten des Lehrgangs 3a, die nachmittags bei Hardy Physikunterricht hatten, über die orakelhafte Behauptung des Professors nachdachten. Schließlich erhob sich in der letzten Reihe langsam eine Hand.
Ungläubig starrte Hardy die Hand an. »Ja?« fragte er. »Was ist, Pitner?«
»Aber im Logikunterricht haben wir gelernt, daß der Frosch den Brunnenrand erreichen muß. Professor Grote sagte ...«
»Der Frosch wird den Rand nicht erreichen!«
»Professor Grote behauptet aber genau das Gegenteil.«
Hardy verschränkte die Arme. »In dieser Klasse wird der Frosch niemals bis zum Brunnenrand gelangen. Ich habe mich selbst von dem Beweis überzeugt. Ich bin mir sicher, daß ihn immer eine kleine Distanz davon trennen wird. Wenn er zum Beispiel springt ...«
Es läutete.
Die Studenten erhoben sich von ihren Plätzen und strömten durch die Tür hinaus. Professor Hardy blickte ihnen nach und verbiß sich den letzten Teil seines Satzes. Verärgert rieb er über sein Kinn und runzelte die Stirn angesichts der Horde junger Männer und Mädchen mit ihren geistesabwesenden, uninteressierten Mienen.
Als alle verschwunden waren, holte Hardy seine Pfeife hervor und trat hinaus auf den Korridor. Er sah sich um. Wie nicht anders zu erwarten, war Grote nicht weit; er stand am Wasserspender und wusch sich das Gesicht.
»Grote!« rief Hardy. »Kommen Sie hierher!«
Professor Grote sah auf und blinzelte. »Wie bitte?«
»Kommen Sie.« Hardy schritt auf ihn zu. »Wie können Sie es wagen, Zeno zu lehren? Er war
Weitere Kostenlose Bücher