Eine handvoll Dunkelheit
ein Naturwissenschaftler, und es ist meine Aufgabe, ihn zu lehren, und nicht Ihre. Überlassen Sie Zeno mir!«
»Zeno war Philosoph.« Grote blickte gereizt zu Hardy auf. »Ich weiß, woran Sie denken. An das Paradoxon von dem Frosch und dem Brunnen. Zu Ihrer Information, Hardy, der Frosch wird mühelos hinauskommen. Sie haben Ihre Schüler in die Irre geführt. Die Logik ist auf meiner Seite.«
»Logik, pah!« schnaubte Hardy mit funkelnden Augen. »Alte verstaubte Lehrsätze. Es ist offensichtlich, daß der Frosch auf ewig gefangen ist, in einem immerwährenden Gefängnis, das er nie verlassen kann!«
»Er wird entkommen.«
»Das wird er nicht.«
»Sind die Herren jetzt fertig?« fragte eine ruhige Stimme. Die beiden fuhren herum. Der Dekan war lautlos hinter ihnen aufgetaucht und lächelte nun mild. »Falls Sie fertig sind, möchte ich Sie bitten, für einen Moment in mein Büro zu kommen.« Er deutete mit einer Kopfbewegung auf seine Tür. »Es wird nicht lange dauern.«
Grote und Hardy wechselten einen Blick. »Sehen Sie nun, was Sie angerichtet haben?« flüsterte Hardy, während sie dem Dekan in das Büro folgten. »Jetzt haben wir wieder den Salat.«
»Sie haben damit angefangen – Sie und Ihr Frosch!«
»Setzen Sie sich, meine Herren.« Der Dekan bot ihnen zwei hochlehnige Sessel an. »Machen Sie es sich bequem. Es tut mir leid, Sie stören zu müssen, wo Sie doch so beschäftigt sind, aber ich muß mich einen Moment lang mit Ihnen unterhalten.« Verdrossen sah er sie an. »Darf ich erfahren, um was es diesmal bei Ihrer Diskussion geht?«
»Es geht um Zeno«, murmelte Grote.
»Zeno?«
»Das Paradoxon von dem Frosch und dem Brunnen.«
»Ich verstehe.« Der Dekan nickte. »Ich verstehe. Der Frosch und der Brunnen. Ein zwei Jahrtausende alter Lehrsatz. Ein antikes Rätsel. Und zwei erwachsene Männer wie Sie stehen im Korridor und streiten sich wie ...«
»Das Problem«, sagte Hardy nach einer Weile, »ist, daß noch nie jemand das entsprechende Experiment durchgeführt hat. Das Paradoxon ist eine reine Abstraktion.«
»Dann werden Sie beide die ersten sein, die den Frosch in den Brunnen setzen und zusehen, was wirklich geschieht.«
»Aber der Frosch wird nicht so springen, wie es in dem Paradoxon vorgeschrieben ist.«
»Dann werden Sie ihn eben dazu bringen. Ich gebe Ihnen zwei Wochen, um die nötigen Vorbereitungen für das Experiment zu treffen und die richtige Lösung für dieses widerliche Rätsel zu finden. Ich dulde keine weiteren Auseinandersetzungen mehr – die letzten Monate haben mir gereicht. Ich möchte, daß dies ein für allemal klar ist.«
Hardy und Grote waren still.
»Nun, Grote«, sagte Hardy schließlich, »beginnen wir damit.«
»Wir brauchen ein Netz«, bemerkte Grote.
»Ein Netz und ein Glas.« Hardy seufzte. »Sehen wir zu, daß wir es so schnell wie möglich hinter uns bringen.«
Die ›Froschkammer‹, wie man sie alsbald nannte, erwies sich als umfangreiches Projekt. Die Universität stellte ihnen den größten Teil des Kellergeschosses zur Verfügung, und Grote und Hardy machten sich unverzüglich an die Arbeit, indem sie Material und Geräte hinuntertrugen. Es dauerte nicht lange, dann wußte jeder darüber Bescheid. Der Großteil der naturwissenschaftlichen Studenten war auf Hardys Seite; sie bildeten einen Verein für den Fehlschlag und denunzierten die Anstrengungen des Frosches als vollkommen sinnlos. Die philosophischen und künstlerischen Fakultäten planten als Gegengewicht einen Verein für den Erfolg zu gründen, der allerdings nie realisiert wurde.
Grote und Hardy arbeiteten wie besessen an dem Projekt. Immer seltener in der folgenden Zeit hielten sie Vorlesungen ab, und langsam vergingen die zwei Wochen. Die Kammer selbst wuchs und veränderte sich, gewann immer mehr Ähnlichkeit mit einer Kanalisationsröhre, die sich durch den Keller der Universität zog. Das eine Ende mündete in einem Gewirr aus Drähten und Röhren, während sich am anderen eine Tür befand.
Eines Tages, als Grote die Treppe hinunterstieg, war Hardy schon anwesend und äugte in die Röhre.
»Hören Sie«, fauchte Grote, »wir haben vereinbart, nur gemeinsam hier unten zu arbeiten.«
»Ich schaue nur hinein. Es ist sehr dunkel dort drinnen.« Hardy lächelte. »Ich hoffe, der Frosch wird genug sehen können.«
»Nun, es gibt nur eine Richtung, in die er sich wenden kann.«
Hardy entzündete seine Pfeife. »Was halten Sie davon, einen Test mit einem Frosch zu machen?
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