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Eine Handvoll Dunkelheit

Eine Handvoll Dunkelheit

Titel: Eine Handvoll Dunkelheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip K. Dick
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bereits umher und schleppten ihre Beute fort. Es hatte zu stinken begonnen.
    „Aber wie ist das geschehen?“ fragte Labyrinth. Er schüttelte den Kopf. „Was ist dafür verantwortlich?“
    Ein Laut ertönte. Wir fuhren rasch herum.
    Einen Moment lang sahen wir nichts. Dann raschelte es in einem Busch, und zum erstenmal konnten wir seine Gestalt erkennen. Es mußte dort die ganze Zeit über gestanden und uns beobachtet haben. Die Kreatur war groß, dünn und langgestreckt und besaß leuchtende, eindrucksvolle Augen. Mich erinnerte es irgendwie an einen Koyoten, nur wirkte es wesentlich schwerer. Sein Fell war verfilzt und dicht, und die Schnauze war halb geöffnet, während es uns stumm anblickte und studierte, als sei es erstaunt, uns hier vorzufinden.
    „Das Wagner-Tier“, sagte Labyrinth heiser. „Aber es hat sich verändert. Es hat sich verändert. Ich erkenne es kaum wieder.“
    Das Wesen schnüffelte, und seine Nackenhaare sträubten sich. Plötzlich wich es zurück in den Schatten, und eine Sekunde später war es verschwunden.
    Eine Weile standen wir schweigend da. Schließlich gab sich Labyrinth einen Ruck. „Das war es also“, brummte er. „Ich kann es kaum glauben. Aber warum? Was …“
    „Anpassung“, unterbrach ich. „Wenn Sie eine gewöhnliche Hauskatze aussetzen, verwildert sie. Oder einen Hund.“
    „Ja.“ Er nickte. „Ein Hund wird wieder zum Wolf, um zu überleben. Das Gesetz der Wildnis. Ich hätte daran denken müssen. Niemand kann sich dem entziehen.“
    Ich sah auf den Kadaver auf dem Boden hinunter, und dann wandte ich meinen Blick wieder zu dem stillen Unterholz. Anpassung – oder etwas Schlimmeres. Ein Gedanke nahm in meinem Bewußtsein Gestalt an, aber ich sagte nichts; zumindest nicht in diesem Moment.
    „Ich würde gern noch ein paar andere sehen“, sagte ich. „Einige andere Schöpfungen. Schauen wir uns noch ein wenig um.“
    Er stimmte zu. Wir durchstöberten langsam das Gras und das Gestrüpp, schoben Geäst und Sträucher zur Seite. Ich benutzte einen Stock, aber Labyrinth ließ sich auf Hände und Knie nieder und tastete und fingerte umher und blickte kurzsichtig zu Boden.
    „Jedes Kind verwandelt sich in ein wildes Tier“, bemerkte ich. „Haben Sie schon einmal von den Wolfskindern in Indien gehört? Niemand würde glauben, daß es sich bei ihnen einst um normale Kinder gehandelt hat.“
    Labyrinth nickte. Er war unglücklich, und es fiel mir nicht schwer, den Grund dafür zu verstehen. Er hatte sich geirrt in seiner ursprünglichen Idee, und die daraus resultierenden Konsequenzen wurden ihm allmählich bewußt. Musik konnte in Gestalt von Tieren überleben, aber er hatte die Lektion vergessen, die der Garten Eden den Menschen erteilt hatte: daß jedes Ding nach seiner Entstehung beginnt, ein Eigenleben zu führen, und aufhört, Eigentum des Schöpfers zu sein, das er formen und lenken kann, wie es ihm gefällt. Gott, der das Treiben der Menschen beobachtete, mußte die gleiche Traurigkeit empfunden haben – und die gleiche Demütigung – wie Labyrinth, als er seine Geschöpfe sich anpassen und verändern sah, um den Überlebensbedingungen gerecht zu werden.
    Daß seine musikalischen Kreaturen weiterleben würden, war für ihn bedeutungslos, da nun sie vor seinen Augen genau jenen Prozeß der Verrohung des Schönen durchmachten. Doc Labyrinth sah plötzlich zu mir auf, und sein Antlitz verriet Kummer. Er hatte ihr Überleben gesichert, so weit, so gut, aber dadurch hatte er ihnen auch jegliche Bedeutung, jeglichen Wert genommen. Ich versuchte ihn anzulächeln, aber schon wandte er wieder den Blick ab.
    „Grämen Sie sich nicht so sehr darüber“, riet ich. „Viel hat sich für das Wagner-Tier ja auch nicht geändert. War es nicht trotzdem noch schön, so stark und temperamentvoll, wie es schien? Und hatte es …“
    Ich verstummte. Doc Labyrinth war zurückgesprungen und hatte seine Hand aus dem Gras zurückgezogen. Er umklammerte sein Handgelenk und zitterte vor Schmerz.
    „Was ist geschehen?“ Ich eilte zu ihm. Bebend hielt er mir seine kleine alte Hand entgegen. „Was ist? Was ist geschehen?“
    Ich drehte die Hand. Quer über den Rücken verliefen rote Bißmale, die anschwollen, während ich sie betrachtete. Etwas hatte ihn gestochen, gestochen oder gebissen, etwas, das sich im Gras verbarg. Ich senkte den Kopf und schob das Gras mit meinem Fuß beiseite.
    Eine Bewegung. Ein kleiner goldener Ball rollte flink davon.
    „Fangen Sie es!“ rief

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