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Eine Handvoll Leben: Meine Kindheit im Gulag (German Edition)

Eine Handvoll Leben: Meine Kindheit im Gulag (German Edition)

Titel: Eine Handvoll Leben: Meine Kindheit im Gulag (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Dahlhoff
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schlimm. Ich spürte auch so die leise Wärme, die von den Füßen aus an mir heraufzog. Während wir dort standen, wanderten unsere Blicke weiter durch den Raum. Es gab gestapelte Strohballen an einer Wand, einen mickrigen Holztisch in einer Ecke, darauf Teller mit Löffeln und Becher aus Blech sowie ein paar Holzstühle in einer anderen Ecke. Es gab nicht für jedes Kind einen Stuhl, das sah ich sofort.
    Wir waren gerade ein wenig aufgewärmt, als vier Soldaten in die Baracke gestürmt kamen. Sie gaben irgendwelche Anweisungen, die wir nicht verstanden, platzierten dann zwei Stühle im Raum und setzten uns paarweise darauf. Ich war als eine der Ersten an der Reihe, ein Soldat packte mich und drückte mich auf einen der beiden Stühle. Ein anderer kam mit einer langen Schere auf mich zu, und ich kapierte sofort. Ich schrie: »O nein, nicht meine Locken abschneiden!« Ich strampelte, zappelte und rutschte von dem Stuhl, aber der Soldat packte mich wieder und drückte mich noch fester auf das Holz. »Nicht meine Locken«, jammerte ich und schluchzte, aber es nutzte nichts. Das Mädchen auf dem Stuhl neben mir schrie wie am Spieß. Auch das nutzte nichts. Als unsere Haare mit der Schere gekürzt waren, schoren uns die Soldaten auch noch die letzten Stoppeln vom Kopf. Ein fürchterliches Gekreische erfüllte die Baracke, keine von uns blieb verschont. Die Soldaten interessierten sich kein bisschen dafür, was wir fühlten; sie brüllten uns an und lachten uns aus. Und nachdem die Prozedur beendet war und wir weinend in einer Ecke kauerten, gingen die Übergriffe noch einmal von vorn los. Jetzt wurden wir nach Schmuck abgesucht; dunkelbehaarte, raue Hände eines Soldaten strichen an meinem Hals entlang. »Nicht meine Kette mit dem Engelchen!« Das Lachen des Soldaten entblößte eine Reihe dunkelfauler Zähne. Er hielt mich mit einer Hand fest, mit der anderen riss er mir die letzte Erinnerung an meinen Vater, an die gute Zeit in einem kurzen Leben, vom Leib. Nur einen Ruck brauchte es. Der Soldat stieß mich zu den Mädchen zurück, die bereits durchsucht worden waren. Wir saßen oder lagen übereinander auf dem kalten, feuchten Boden und trauten uns nicht, auch nur einen Mucks zu machen. Auch nachdem die Soldaten die Hütte verlassen hatten, blieben wir reglos liegen.
    Voller Scham tastete ich nach meinem kahlen Kopf, dann am Hals entlang und spürte das warme, klebrige Blut, das sich mit meinen Tränen vermischte. Jetzt standen die ersten Mädchen auf und halfen den Schwächeren.
    »Aus dem Stroh können wir uns Betten bauen. Lasst es uns teilen, damit jede den gleichen Anteil bekommt. Und jede bekommt noch einen Teller, einen Löffel und einen Trinkbecher«, sagte ein größeres Mädchen. Auch wir anderen erwachten endlich aus unserer Ohnmacht.
    »Ja, wir können uns Betten bauen.« – »Ich will auch einen Becher.« – »Hier, dein Teller!«, riefen wir durcheinander, und für einen Moment vergaßen wir unseren Kummer.
    »Wie heißt du?«, fragte mich ein Mädchen, das bestimmt drei Köpfe größer war als ich.
    »Monika. Und du?«
    »Heide.«
    »Und wie heißt ihr?«
    »Ingrid.« – »Eva.« – »Hildegard.« – »Rosemarie.« – »Marianne.« – »Johanne.« Ich konnte mir gar nicht alle Namen merken. Das letzte Mädchen aber rief: »Seid ihr dumm? Was sagt ihr euch eure Namen? Wir sind hier eingesperrt! Hier brauchen wir keine Namen. Und jetzt lasst uns das Stroh teilen.« Wir hörten auf das Mädchen und ließen die Gespräche bleiben, stattdessen raffte jede so viel von den Ballen, wie in ihre Arme passte, und trug ihren Strohhaufen an einen Platz.
    Ich baute mein Bett gleich hinter der Tür. Eine andere freie Stelle hatte ich nicht mehr gefunden. Mit meinem Teller, meinem Löffel und meinem Becher im Arm lag ich auf meinem Lager und sah zu dem Fenster an der Wand gegenüber. Laut hörte ich meinen Magen grummeln. Doch die Müdigkeit war stärker als der Hunger, und wenig später schlief ich erschöpft ein.
    Ich weiß nicht, ob ich nur Minuten oder Stunden geschlafen hatte, als mich lautes Gepolter weckte. Ich lugte hinter der offenen Tür hervor und sah einen Soldaten. In diesem Moment kam die Frau herein, die mich an Mama erinnerte und die Peter fortgetragen hatte. Plötzlich überfiel mich Angst, und ich kroch schnell zurück hinter die Tür. Dann sah ich die leuchtenden Augen einiger Mädchen auf der anderen Seite des Raums. Gab es wirklich einen Grund zur Freude? Vorsichtig krabbelte ich noch einmal

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