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Eine Handvoll Leben: Meine Kindheit im Gulag (German Edition)

Eine Handvoll Leben: Meine Kindheit im Gulag (German Edition)

Titel: Eine Handvoll Leben: Meine Kindheit im Gulag (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Dahlhoff
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den Doktor gleichgültig an, wusste auch gar nicht mehr, wie diese Schwester Maria ausgesehen hatte. Doch dann fiel mir das schöne Bad ein … Schnell sah ich nach, ob ich auch sauber war. Das machte ich oft mehrmals am Tag. Immer hatte ich Angst, dass ich noch dreckig war oder stank.
    »Schwester Maria kann dir auch helfen, deine Mutter zu suchen. Willst du das?«
    Ob ich meine Mutter suchen wollte? Suchte sie mich denn gar nicht? Und wie wollte Schwester Maria mir dabei helfen? Ich versuchte an Mama zu denken, aber in meinem Kopf geriet einiges durcheinander. Ich hatte plötzlich wieder die Russin vor Augen. Oder war es doch Mama? Nein, Mama trug doch keine Uniform … – »Du kannst in Ruhe darüber nachdenken. Weißt du, die Kinder im Heim freuen sich schon auf dich, sie möchten gern mit dir spielen. Einige kennst du sicher noch.«
    »Dann bleib ich lieber hier. Ich habe ja Elsa«, sagte ich leise. Elsa nahm mir kein Essen weg, sie schlug mich nicht, und sie hörte mir zu.
    »Ja, das mit dem Spielen ist vielleicht auch noch zu früh, die anderen Kinder werden das verstehen, wenn du erst einmal für dich bleiben willst. Aber du kannst ja noch mal mit deiner Elsa sprechen, vielleicht möchtet ihr zusammen nach deiner Mama suchen, ja?« Der Doktor strich mir sanft über den verbundenen Kopf und ging zur Tür. Bevor er hinaustrat, drehte er sich noch einmal zu mir um.
    »Elsa und ich wollen Mama suchen«, sagte ich leise.
    Schwester Mathilde kam am nächsten Morgen mit einem dunkelblauen Kleid und einem Paar neuer Schuhe. »Die kannst du aber erst anziehen, wenn deine Füße wieder ganz heil sind.«
    »Der eine ist doch schon gesund.« Ich streckte den linken Fuß in die Höhe. »Einen Schuh kann ich anziehen!«, rief ich und humpelte vor Freude im Zimmer auf und ab. Ein richtiger Schuh, keine Lumpen, sondern ein fester Schuh am Fuß! »Ist der auch wirklich ganz neu? Musste kein Kind dafür sterben?«
    »Nein, dafür musste kein Kind sterben …«, antwortete Schwester Mathilde mit rauer Stimme.
    »Oh, wie ich mich freue!«, rief ich. »Schade, dass mich meine Mama nicht sehen kann.« Doch mit diesem Satz verflog die Freude so schnell, wie sie in mir aufgestiegen war.
    Das Verabschieden zog sich hin, obwohl mir nur ein, zwei weitere Schwestern, die sich um mich gekümmert hatten, wenn Schwester Mathilde einmal nicht da gewesen war, auf Wiedersehen sagten. Kinder verabschiedeten mich keine, ich hatte mich mit niemandem angefreundet. Und den Doktor würde ich im Heim wiedersehen. So stieg ich mit Elsa und einem Beutel, in dem der rechte Schuh und meine Tasse waren, in den großen schwarzen Wagen. Vorn saß der Fahrer, ein weißhaariger Herr, der mich ins Heim bringen würde. Das Auto hatte eine bequeme Sitzbank und war sehr sauber, ganz anders als der Lastwagen. Und ich war auch eine andere geworden. Immer wieder zupfte ich während der Fahrt an meinem Kleid. Ich kam mir plötzlich wie ein großes Mädchen vor, obwohl ich von dem Doktor erfahren hatte, dass ich für mein Alter, das er auf etwa sieben Jahre schätzte, viel zu klein und mager sei. Mir war das egal, ich brauchte nicht mehr wachsen. Je kleiner und dünner ich blieb, desto weniger musste ich essen. Und wenn ich nicht mehr wuchs, würde mir das hübsche Kleid auch viel länger passen. Ich wollte es nie wieder hergeben.
    Wir fuhren durch mehrere Dörfer, an grauen Häusern und gelben Feldern vorbei; mal grasten Kühe auf einer Wiese, dann standen Schafe zusammengedrängt an einem Zaun. Als wir dem Bogen einer langen Straße folgten, näherten wir uns einem großen weißen Haus. »Gleich sind wir da«, sagte der Fahrer. Und dann sah ich auch schon die vielen Kinder vor dem Haus. Das musste das Heim sein. Ob die Kinder mich erwarteten? Ich drückte mich tief in den Sitz hinein und hätte dem Fahrer am liebsten zugerufen, fahren Sie zurück, ich will nicht ins Heim, da sind mir viel zu viele Kinder. Doch ich schwieg, und kurz darauf stoppte der Wagen.
    Laute Rufe, Lachen, Gekreische … ich schlug die Hände über die Ohren. So stand ich eine Weile da und regte mich erst wieder, als Schwester Maria angelaufen kam. Ich erkannte sie sofort wieder und sah, dass sich ihre Lippen bewegten; sie lächelte beim Sprechen und schien sich zu freuen. Vor mich gekniet, nahm sie mir behutsam die Hände von den Ohren. »Monika, wie schön, dass du jetzt bei uns bist. Guck mal, die Kinder freuen sich alle, dass du da bist.«
    Wie so oft spürte ich Tränen in mir

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