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Eine Handvoll Leben: Meine Kindheit im Gulag (German Edition)

Eine Handvoll Leben: Meine Kindheit im Gulag (German Edition)

Titel: Eine Handvoll Leben: Meine Kindheit im Gulag (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Dahlhoff
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Schuh spuckte, um ihn anschließend mit einer Bürste blank zu reiben. Doch auch diesen Arbeitsschritt kontrollierte er und wenn ein Schuh nicht glänzte, musste ich noch mal von vorn anfangen.
    Lieber als die Ziegen zu melken oder die Schuhe zu putzen hätte ich Tante Frieda öfter in der Küche geholfen. Doch auch hier gab es einmal einen hässlichen Zwischenfall, nach dem ich eine Zeit lang nicht mehr so gern zu Tante Frieda in die Küche ging. Es war an einem Nachmittag, Tante Frieda musste in den Keller, sie wollte fürs Abendbrot eingelegte Gurken heraufholen, als ich etwas Weißes, Rundliches auf der unteren Ablage des Küchenschranks sah. Ich wusste nicht, was es war, und stupste es neugierig an. Langsam rollte das Ding auf mich zu und … fiel zu Boden und zerbrach. Eine glibberige Flüssigkeit sowie etwas Gelbes drangen aus der Schale hervor. Ob man das essen konnte? Ich wollte gerade meinen Finger hineintunken, als ich Schritte im Flur hörte. Schnell schob ich alles unter den Küchenschrank, wischte mit der Hand über den Boden und setzte mich an den Tisch. Die klebrige Hand versteckte ich.
    Während Tante Frieda die Schüssel mit den sauren Gurken auf dem Tisch abstellte, verabschiedete ich mich und sagte, ich wollte mit den anderen Kindern auf dem Hof spielen.
    Mit Bernhard zum Abendessen zurück im Haus, hatte ich schon ganz vergessen, dass ich etwas kaputt gemacht hatte. Doch dann hörte ich den Pflegevater sagen: »Kommt rein, Monika und Bernhard, kommt rein, wir warten schon auf euch.« Ich ahnte, dass dies nichts Gutes bedeuten konnte. Alle Kinder waren in Tante Friedas Küche versammelt. Franz, Margret, Inge und die drei Kinder der Familie, die gegenüber von Tante Frieda wohnten. In einer Reihe mussten wir uns vor dem Pflegevater am Tisch aufstellen. Tante Frieda und Mutti standen am Ofen.
    »Wer hat das Ei genommen?«, fragte der Pflegevater und musterte jeden von uns streng. Niemand sagte etwas. »Ihr wisst doch ganz genau, dass die Hühner zurzeit nicht so viele Eier legen und wir jedes Ei brauchen.« Ich wusste nicht, worüber er sprach. Aber warum schaute er mich jetzt so streng an?
    »Noch mal, wer hat das Ei gestohlen? Habe ich mich jetzt klar genug ausgedrückt?« Das Zittern und Zähneklappern begann. Jetzt ging er uns Kinder der Reihe nach durch … »Monika, was ist mit dir, hast du das Ei gestohlen?«
    »Nein. Ich habe nichts gestohlen.«
    Auch die anderen hatten die Frage verneint.
    »Überlegt noch einmal genau. Ich werde das nicht durchgehen lassen.«
    Jetzt sprachen alle Kinder durcheinander. Bernhard fragte mich leise, ob ich das Ei vielleicht doch genommen hätte.
    »Aber ich weiß gar nicht, was ein Ei ist.«
    »Es lag dort auf dem Küchenschrank«, sagte der Pflegevater, der mich gehört hatte.
    Jetzt dämmerte es mir. »Ich … ich … da lag etwas«, begann ich und stockte immer wieder, weil das Zittern zunahm und ich plötzlich ganz durcheinander war. »Das war wie eine große Murmel … und … und dann ist sie heruntergefallen … ich hab sie nur ganz kurz angefasst …«
    »Was soll diese Lügengeschichte? Du hast das Ei gestohlen!« Die Stimme des Pflegevaters überschlug sich vor Ärger.
    »Nein, ich habe wirklich nichts gestohlen, Vati.« Es war das erste Mal, dass ich ihn so nannte. Im nächsten Moment knallte seine Hand gegen meinen Kopf, und ich verlor den Halt. »Das passiert Kindern, die stehlen und lügen! Und wenn du nicht sofort die Wahrheit sagst, dann gibt es noch mehr Schläge!«, brüllte er auf mich hinunter.
    Doch da stellte Bernhard sich vor mich. »Vati, guck doch, unter dem Schrank, da ist doch das kaputte Ei. Sie hat es wirklich nicht gestohlen, und gelogen hat sie auch nicht.«
    Tante Frieda half mir vom Boden auf. »Sieh nur, Arthur, was du angerichtet hast.« Das Blut lief mir über die Stirn. Ein paar Narben auf meinem Kopf waren aufgeplatzt.
    »Das mache ich mit jedem, der lügt«, sagte der Pflegevater noch einmal, bevor er die Küche verließ.
    An diesem Abend begann ich wieder mit meinem Papa zu sprechen. Und nachdem ich am Fenster stehend einen Stern am Himmel gefunden hatte, erzählte ich ihm alles, was mir der Pflegevater angetan hatte. Danach kroch ich weinend in mein Bett und fiel in einen unruhigen Schlaf.
    Mitten in der Nacht musste ich zur Toilette und suchte den Topf unter meinem Bett, fand ihn aber nicht. Ich stand im Dunkeln im Zimmer und wusste nicht, was ich tun sollte, als ich mich plötzlich immer leichter fühlte. Es fühlte

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