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Eine Handvoll Leben: Meine Kindheit im Gulag (German Edition)

Eine Handvoll Leben: Meine Kindheit im Gulag (German Edition)

Titel: Eine Handvoll Leben: Meine Kindheit im Gulag (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Dahlhoff
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mich.
    »Nein«, antwortete ich leise.
    »Die kannst du totschlagen, dann hört sie noch nicht auf zu lügen«, schimpfte der Pflegevater mit einem Seitenblick auf mich.
    »Sei still, Arthur. Jetzt spreche ich mit Monika und nicht mit dir. Also, Monika, warum sagst du Nein?«
    »Ich weiß nicht.«
    »Gut, dann frage ich dich mal anders. Was lag da oben auf dem Küchenschrank?«
    »So glänzende Plättchen. Geheimplättchen.«
    »Und wie nennt man die noch?«
    »Münzen hat das Mädchen mit den Zöpfen dazu gesagt.«
    »Ja, Münzen. Das ist Geld. Hast du denn noch nie Geld gesehen?«
    »Weiß nicht. Was ist denn Geld?«
    »Mit Geld kann man Essen und andere Dinge kaufen. Das Geld hier auf dem Schrank gehörte Vati, das durftest du nicht einfach wegnehmen. Du musst fragen, wenn du Geld haben möchtest.«
    »Ich werde es mir merken«, sagte ich leise.
    »Ist gut.« Tante Frieda wollte mir über den Kopf streichen. »Herrje, du blutest ja immer noch …« Sie tupfte mit dem Waschlappen noch einmal über meinen Kopf, dann über meine Hände und Arme. Danach wandte sie sich an den Pflegevater. »Und ich hoffe, du merkst dir das auch. Das Kind wusste nicht, dass es Geld genommen hat. Und sie hat nicht gelogen. Du hast Monika grundlos blutig geschlagen. Hach, deine ewige Prügelei …«
    In der Nacht wachte ich erschöpft aus einem schlechten Traum auf und wollte aufs Töpfchen gehen. Doch ich konnte mich kaum bewegen, alles tat mir weh. Die Schläge mit dem Siebenzagel … sofort fiel es mir wieder ein. Vorsichtig kroch ich aus dem Bett. Wenigstens hatten die Wunden aufgehört zu bluten … Wo war denn nur wieder der Topf? Ich bückte mich noch etwas weiter unter das Bett, aber da war nichts zu sehen. Also stand ich auf und taperte durchs Zimmer und zur Tür hinaus. Und als ich im Flur stand, spürte ich plötzlich wieder diese Blase um mich herum; mein Körper wurde ganz leicht, und es tat nichts mehr weh, ich wurde in die Höhe gehoben und durch die Räume getragen. Als würde ich fliegen, lief ich durchs Treppenhaus, die Stufen hinunter und durch die Hintertür auf den Hof, an dem Springbrunnen vorbei und immer weiter in Richtung der Klohäuschen. Doch dann hockte ich mich einfach auf die Wiese und putzte mich anschließend mit Gras ab. Danach flog ich weiter über die mondgrauen Felder und an den im Wind raschelnden Sträuchern und den leise knarrenden Bäumen vorbei. Plötzlich stand ich vor einem nachtschwarzen Berg. Er sah unheimlich aus, so still ragte er in den dunklen Himmel. Ob das der Rosenhügel war, den ich tags zuvor entdeckt hatte? Ja, das musste er sein. Auf dem Hügel würde mich niemand finden. Ich würde heimlich Beeren pflücken, Gemüse ernten und Äpfel und Birnen aufsammeln, wenn sie reif waren. Dann konnte ich sogar den Winter hier verbringen. Der Hügel war meine Rettung. Nie mehr Schläge, nie mehr Angst. Barfuß und im Nachthemd suchte ich die geeignete Stelle und kletterte die Rankenwand nach oben. Dort stand ein Bett aus Blättern für mich bereit, und ich legte mich müde vom Laufen und Klettern darauf und sah den Mond über mir und ein paar kleine Sterne. Darüber wurde ich traurig. »Papa, bist du da? … Papa, ich möchte hier nicht mehr bleiben. Kannst du nicht Mama zu mir schicken? Papa? Mama? …«
    Ein zarter Lichtstreifen war am Horizont zu sehen, als ich aus einem tiefen Schlaf erwachte. Die Luft war noch kühl, aber ich war Schlimmeres gewohnt. Ich wollte mich erst einmal recken und strecken, zuckte vor Schmerz jedoch zusammen. Nie zuvor hatte ich solch einen Stock mit Lederriemen gesehen; jetzt war er mir ins Gedächtnis eingebrannt. Ich blickte über den dunklen Garten. Bis zum Haus konnte ich sehen. Dort ging gerade ein erstes Licht an, ich hatte also nicht mehr viel Zeit. Bevor jemand bemerkte, dass ich weggelaufen war, wollte ich mir für den Tag einen kleinen Vorrat an Früchten besorgen. Also kletterte ich den Hügel an der dornenfreien Seite hinunter und lief zu den Obstwiesen hinüber. Mit Aprikosen, Kirschen und Johannisbeeren kehrte ich zurück und sah erneut zum Haus hinüber, in dem jetzt mehrere Fenster hell erleuchtet waren. Ob sie mein leeres Bett bereits entdeckt hatten? Mich suchten? Nach mir riefen? Sollten sie doch. Ich würde gewiss nicht antworten, und sie würden mich nicht finden.
    Während ich eine Aprikose teilte, den Kern herauspulte und in das gelbe Fruchtfleisch biss, ließ ich mich von der Morgensonne wärmen.
    »Monika! – Monikaaaa!«, dröhnten die

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