Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Eine Handvoll Leben: Meine Kindheit im Gulag (German Edition)

Eine Handvoll Leben: Meine Kindheit im Gulag (German Edition)

Titel: Eine Handvoll Leben: Meine Kindheit im Gulag (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Dahlhoff
Vom Netzwerk:
war ein leises Jauchzen hinter Mamas Rücken zu hören. Jetzt blickte sie mich lächelnd an, und ich schaute in ihre strahlend blauen Augen; sie hielt mit einer Hand mein Gesicht, mit der anderen wischte sie mir die Tränen ab, so wie sie es früher immer gemacht hatte. Dann zog sie mich zu einem Kinderbettchen hinüber, in dem ein kleines Mädchen stand. Ganz bezaubernd sah es aus mit den schwarzen Haaren und den großen dunklen Augen. Im Halbdunkeln hinter dem Bett stand ein Junge. »Monika, das ist dein Bruder Thomas«, sagte Mama mit brüchiger Stimme. »Und die Kleine ist deine Schwester Marion … Kinder, das ist Monika, eure große Schwester.« Sanft schob sie mich nah zu den beiden heran. »Sie haben sich schon den ganzen Tag auf dich gefreut.« Ich streichelte meinen Geschwistern zur Begrüßung über die Haare. Marion versuchte, einen meiner langen Zöpfe zu erwischen, und fragte in noch ungelenker Kindersprache, ob sie mich kämmen dürfe. Aber Mama antwortete für mich, jetzt sei Schlafenszeit, morgen vielleicht.
    Während sie die Nachttischlampe mit einem Tuch abdeckte, sodass für Marion ein orangefarbener Lichtschimmer als Einschlafhilfe blieb, sagte ich der Kleinen Gute Nacht. Aber sogleich zog mich Thomas am Ärmel: Er wollte mir mein Zimmer zeigen. »Geht nur«, sagte Mama, als sie merkte, dass es mir schwerfiel, das Zimmer ohne sie zu verlassen. »Geht nur, ich rufe euch gleich zum Essen.«
    Mein Koffer stand bereits in dem Zimmer, in das Thomas mich führte und das neben seinem lag. Er plapperte die ganze Zeit, ich tat aber meist nur, als würde ich ihm zuhören, denn mein Kopf platzte beinahe, so viel Neues hatte ich zu sortieren. Mein Zimmer gefiel mir sehr gut, vor allem das hübsche Himmelbett. Schon bei Onkel Werner und Tante Maria hatte ich über die modernen Möbel gestaunt. Dort war es zwar beengter gewesen als in Zuchau, aber es war alles so neu und gepflegt! Im Haus von Toni und Mama gab es nun Platz und eine moderne Einrichtung, so etwa ein großes Badezimmer mit richtiger Toilette, das man abschließen konnte. Sich ungestört waschen und zum Klo gehen zu können, empfand ich als ein großes Stück Freiheit, das gegen nichts aufzuwiegen war. Voller Freude legte ich unter den Blicken von Thomas meine Kleider in den mit Blumenmuster bemalten Kleiderschrank, dessen Fächer alle leer waren, weil ich ihn mit niemandem teilen musste.
    »Thomas, Monika, kommt zum Essen!«, rief Mama, und Thomas brachte mich ins Wohnzimmer, wo auch ein Esstisch stand, der für alle gedeckt war. »Monika, das ist Annemarie«, sagte Onkel Werner. Annemarie, ein Mädchen, das vielleicht zwei oder drei Jahre älter war als ich, stand auf und reichte mir lächelnd die Hand. »Ich hoffe, ihr beiden werdet euch gut verstehen«, sagte Mama. »Annemarie soll sich bei uns genauso zu Hause fühlen wie unsere eigenen Kinder, ihre Eltern sind beide verstorben«, erklärte sie. Annemarie lächelte tapfer weiter, senkte dabei aber den Kopf und setzte sich wieder an den Tisch.
    Verstohlen sah ich zu meinem Stiefvater hinüber. Er lachte unbekümmert mit Onkel Werner, während er sich einen Rest Wein in sein Glas goss. Mama zeigte mir meinen Platz. »Gib Monika auch ein Glas Wein, Toni«, sagte sie. »Ich möchte heute mir ihr anstoßen.« Sie lachte und zwinkerte mir zu. Ich wollte etwas einwenden, schwieg aber.
    »Annemarie, sei so lieb, und geh in den Keller und hol uns eine neue Flasche Wein rauf, aber von dem guten. Wir haben etwas zu feiern, wir haben nämlich ein großes Kind bekommen.« Toni prostete mir zu.
    Nachdem Annemarie den Wein gebracht hatte und Toni mir davon einschenken wollte, überwand ich mich und sagte leise, um ihn nicht zu verärgern: »Ich trinke keinen Wein. Bei den Nonnen darf ich sicher auch keinen Wein trinken.«
    »Aber wir sind hier doch nicht bei den Nonnen!« Toni lachte laut auf.
    »Du darfst trinken, was du möchtest«, sagte Mama. Und Onkel Werner erklärte: »Ihr müsst wissen, Monika kommt aus einem streng katholischen Haus und sie will Nonne werden. Sie möchte einmal Kindern helfen, die ohne Eltern aufwachsen.« Einen kurzen Moment lang herrschte betretenes Schweigen. »Aber da sie nun ihre Mama wiedergefunden hat, wollte sie erst einmal nach Hause zu ihr. Nicht wahr, Monika? Und möchtest du Wasser oder Tee? Das hast du bei uns doch auch beides getrunken.«
    »Wasser, danke«, antwortete ich.
    Nun begannen alle zu essen, nur ich zögerte. Hier gab es wieder andere Dinge zu essen als in

Weitere Kostenlose Bücher