Eine heißblütige Lady: Roman (German Edition)
auf und verteidigte es so kampfeslustig wie eine Löwin ihr Junges?
»Du solltest wenigstens versuchen, was zu essen«, sagte er möglichst neutral. »Was du mir auch zu sagen hast, es kann nicht so schrecklich sein, dass es dich vom Essen abhält und krank macht.«
»Es könnte aber sein.« Julianne trank einen Schluck Wein. Ihre Augen glänzten. Er hoffte inbrünstig, dass sie nicht wieder in Tränen ausbrach.
Er hatte früher zwei Tage lang die unablässige Folter durch die Franzosen in einer verdreckten Zelle ertragen. Damals hatte er nicht geredet. Aber diese einzelne glitzernde Träne, die ihr vorhin über die Wange gelaufen war, hatte ihn völlig erschüttert.
»Julianne«, fing er an.
»Du hast doch auch kaum gegessen«, widersprach sie. Ihre Hand zitterte, als sie das Weinglas wieder abstellte.
Um ehrlich zu sein, tat sein Arm weh, und er hatte sich so verdammt große Sorgen um sie gemacht, dass er fast eine Furche in den Marmorboden des Foyers gelaufen hatte. Und jetzt, nun, er war einfach zu verwirrt, um zu essen.
» Und du siehst mich geradezu so an, als ob ich ein Ausstellungsstück im Museum wäre. So eine Neugier, als versuchtest du, mich zu verstehen«, fügte sie leiser hinzu.
Dieses Verbrechens bekannte er sich schuldig. Michael rutschte auf seinem Stuhl herum. »Ich habe natürlich Fragen, aber ich hoffe zugleich, nicht so herzlos zu sein und dich eines strengen Verhörs zu unterziehen. Du bist müde und hast Hunger. Und jetzt iss.«
»Ich kann nicht. Es wäre einfacher, wenn ich dir erzählen könnte, was passiert ist.« Die schimmernden Strähnen ihres Haars, das nach dem Bad noch feucht war, umrahmten ihr hübsches Gesicht. Sie legte die Gabel beiseite. »Chloe gehört zu Harry.«
Was hat sie da gerade gesagt?
Sein Bruder – der Inbegriff des perfekten herzoglichen Erben – hatte ein illegitimes Kind gezeugt?
»Ich weiß nicht den genauen Geburtstag, aber man hat mir gesagt, sie sei fast drei.«
Michael musste zugeben, dass diese Eröffnung ihn völlig überrumpelte. Und das passierte ihm, der sich doch sonst stets rühmte, dass ihn kaum etwas überraschen konnte. Sein Bruder war nicht gerade als Wüstling berüchtigt gewesen, und auch wenn er sein Leben genossen hatte, war bei Michael nie der Eindruck entstanden, Harry sei sorglos gewesen oder hätte häufig die Geliebte gewechselt. Rasch blickte er zum Bett herüber, wo unter den Decken das Kind tief und fest schlief. »Wie konnte das passieren?«
Zum ersten Mal an diesem Abend zeigte Julianne den Ansatz eines Lächelns. »Ich kann Euch aus erster Hand versichern, dass Ihr genau wisst, wie so etwas passiert, Mylord.«
Er lächelte bitter. »Das habe ich nicht gemeint, meine Liebe. Erzähl mir die ganze Geschichte von Anfang an.«
Ihr Lächeln schwand. »Der Anfang? Ich war nicht da, als es begann. Ich hatte bis nach seinem Tod keine Ahnung von Chloes Existenz. Und dann wusste ich zuerst nicht, was ich tun sollte.« Ihre Stimme war nur ein Hauch. »Deine Eltern waren außer sich vor Trauer. Leah schickte mir eine Nachricht und bat um ein Treffen. Sie wusste, dass ich Harry versprochen war. Dann erzählte sie mir, sie habe ein Kind von ihm … Dass er für Chloe bezahlt und nie jemandem davon erzählt habe. Wenn ich nicht dasselbe tun würde, wollte sie den Duke und die Duchess kontaktieren. Ich wusste nicht, ob die beiden es zu dem Zeitpunkt ertragen hätten, von Chloe zu erfahren. Darum habe ich bezahlt.«
Es dauerte einen Augenblick, ehe er diese Information verarbeitet hatte. »Diese Frau hat dich erpresst?«
»Ich vermute, das ist eine Möglichkeit, es zu betrachten.« Juliannes zartes Gesicht erbleichte. »Ich stelle mir lieber vor, dass ich ihr geholfen habe, für Chloe zu sorgen.«
»Woher wusstest du denn, dass dieses Kind von meinem Bruder ist?«
»Hast du sie dir überhaupt schon mal richtig angesehen?« Ihre schmalen Schultern strafften sich, und trotzig erwiderte sie seinen Blick. »Sie ist ohne jeden Zweifel eine Hepburn. Sie sieht ihrer Mutter überhaupt nicht ähnlich. Im Übrigen muss er gewusst haben, dass Chloe seine Tochter war. Ihre Mutter hat mir Briefe in seiner Handschrift gezeigt, in denen er dieses Arrangement bestätigte.«
Bisher hatte Michael nur zerzauste Kastanienlocken und ein fahles Gesichtchen gesehen. Er hatte keinerlei Erfahrung mit Kindern, aber Briefe klangen für ihn schon überzeugender. »Du hast seit seinem Tod für sie bezahlt? Womit?«
»Natürlich hat mein Vater mir ein kleines
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