Eine Hexe in Nevermore
Ihre Romanze dauerte nur von Mai bis Dezember. Als sie Selbstmord beging, zerbrach etwas in ihm. Er lebte nur noch für seinen Sohn. Ren«, fügte sie erklärend hinzu und wedelte mit der Hand. »Es ist eine kleine Stadt. Sie werden im Handumdrehen alle kennen.«
Die beiden Frauen setzten sich auf eines der Sofas, und Lucinda drückte Maureen eine Tasse in die Hand. Sie nahm einen Schluck und nickte. »Der ist von Ember, habe ich recht? Sie macht den besten Tee überhaupt.«
»Ich mag sie«, sagte Lucinda.
»Ich auch. Sie gehört zu den Guten.« Dann sah sie sich weiter um, wobei sie die Tasse fest umklammerte. Es schien, als würde sie all ihren Mut zusammennehmen, um loszuwerden, weswegen sie gekommen war.
Schließlich stellte Maureen die Tasse auf den Couchtisch. Offensichtlich war sie zu nervös, um den Tee genießen zu können. Sie sah Lucinda an. »Stimmt es, dass Sie Thaumaturgin sind?«
»Ja. Und nein. Ich bin ohne Ausbildung. Aber … leider kann ich meine Fähigkeit momentan nicht anwenden.« Es gefiel ihr nicht, dass sie die zarten Bande einer möglichen Freundschaft schon gleich kappen musste, aber Lügen mochte sie nicht. »Auf mir lastet ein Fluch. Gegen den man unglücklicherweise nichts machen kann.«
»Aber Sie haben es doch versucht.«
»Sie meinen Marcy. Ja. Aber ich kam zu spät.«
»Etwas zu tun ist besser, als nichts zu tun. Marcy war kein glücklicher Mensch. Genau wie mein Lennie. Er war so selbstbezogen. Es gab nur ihn und sein Auto.« Ein paar Tränen liefen ihre Wangen hinab, dann klatschte sie in die Hände. »Aber er war mein Sohn. Ich habe ihn geliebt.«
Lucinda stellte ihre Tasse ab und nahm Maureens Hände. »Es tut mir aufrichtig leid um ihren Sohn.«
»Ich habe ihn geliebt«, schluchzte Maureen nun. »Und trotzdem bin ich so … oh Göttin, ich bin so erleichtert, dass er tot ist!« Sie sah verschreckt aus. »Ist es nicht schlimm, wenn eine Mutter so etwas sagt?«
»Nein. Man fühlt, was man fühlt. Beziehungen sind kompliziert, vor allem die zwischen Müttern und ihren Kindern.«
Maureen nickte. Diese Mutter war am Boden zerstört wegen ihrer eigenen Gefühle, weil sie eine gewisse Erleichterung verspürte über den Tod ihres Sohnes. Lucinda fragte sich, was für ein Kind Lennie gewesen sein mochte. Warum löste sein Tod bei seiner Mutter solche Empfindungen aus?
»Wissen Sie, wir haben fünf Kinder. Vier sind in die Welt hinausgezogen und führen ein gutes Leben. Aber Lennie – er schaffte es einfach nicht. Das machte Henry und mich ganz fertig. Er trank und nahm Drogen und prügelte sich. Er hatte den Respekt vor allem verloren, auch vor sich selbst.« Maureen drückte Lucindas Hände. »Ich finde, jeder ist es wert, gerettet zu werden. Finden Sie nicht auch?«
Diese letzten Worte berührten Lucinda sehr. Sie nickte nur, ohne etwas antworten zu können.
»Jeder ist es wert, gerettet zu werden«, sagte Maureen noch einmal, kämpferisch diesmal. »Aber nicht jeder ist zu retten.« Sie holte tief Luft, und ihre Augen wurden feucht. »Ich konnte meinen Sohn nicht retten. Ich weiß, dass Sie mich verstehen. Wegen Marcy.«
»Ich verstehe Sie«, sagte Lucinda leise. Auch ohne Marcy hätte sie verstanden. »Ich verstehe Sie.«
Maureens Lippen begannen zu zittern, dann fiel sie Lucinda in die Arme und weinte.
Gray ließ sich in den ledernen Ohrensessel gegenüber von Taylors Schreibtisch fallen. »Ich hasse Kobolde.«
»Gut, dass du den Spalt versiegelt hast, bevor noch mehr von ihnen rauskommen konnten.« Taylor lehnte sich in seinem Stuhl zurück und tippte an seinen Hut. »Ich frage mich nur, wie das Portal sich öffnen konnte.«
»Das weiß ich auch nicht. Aber die Stadt ist aus dem magischen Gleichgewicht geraten. Das ist meine Schuld. Ich habe nicht aufgepasst.« Gray schüttelte den Kopf über sich selbst.
Taylor enthielt sich eines Kommentars, und Gray war dankbar, dass sein Freund auf rechthaberische Kommentare verzichtete. Er hatte seine Lektion gelernt und war entschlossen, seine Aufgabe als Hüter ab jetzt verantwortungsvoller wahrzunehmen. Nevermore sollte wieder so werden wie früher – dafür wollte er sorgen.
»Ich werde ein Reinigungsritual durchführen. Erst die Stadt, dann alle Farmen. Aber zuerst werde ich die magischen Schutzfunktionen an den Stadtgrenzen verstärken.«
»Hast du Angst, dass Bernard Franco Lucinda auf der Spur ist?«
»Sie glaubt, es wird so kommen.«
»Ich hasse Kobolde.« Ren kam ins Büro und ließ sich in den anderen
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