Eine Hexe mit Geschmack
hindurch. Oberflächlich besehen war dieser Traum sehr unschuldig,
aber ich wusste, dass er ernster war als all meine anderen Phantasien. Als die
Zeit kam, das Traumland zu verlassen, tat ich es nur widerwillig.
Normalerweise stört das
Morgenlicht auch meinen tiefsten Schlaf. Als es dies schließlich tat, war die
Sonne schon halb über den Horizont gewandert. Ich setzte mich auf und schirmte
meine Augen vor der Sonne ab. Ich konnte nicht direkt hinsehen, aber es war ein
sehr schöner Morgen.
»Ich habe deinen Hut aus dem
Keller geholt«, sagte Molch. »Dachte, du könntest ihn brauchen.« Er hielt ihn
in seinem Schnabel hoch. Ich nahm den spitzen schwarzen Hut und zog ihn tief
auf meinen Kopf, um meine Augen zu beschirmen. Mein Haar verstaute ich nicht
darunter, und Molch blickte finster auf die schimmernden Strähnen.
Ich bückte mich und rieb eine
Handvoll Erde in mein Gesicht. Nicht so viel wie ich sollte, aber es war
hauptsächlich eine Gewohnheit. Meine Reisegefährten wussten alle, dass ich
schön war. Es ergab also wenig Sinn, es zu verstecken.
Ich versuchte mit wenig Erfolg,
mein leichtes Lächeln wegzuwischen. Ich konnte nur hoffen, dass es als
vieldeutig ausgelegt wurde. Nicht das Lächeln einer verliebten Frau, sondern
das wissende Grinsen einer Hexe, die dem Wispern der Magie lauscht.
Ich sah zu Wyst aus dem Westen
hinüber. Er erwiderte den Blick, und keiner von uns scheute zurück. Er stieg
auf sein Pferd, ohne den Blick von meinem abzuwenden. Wir lächelten beide, zwar
nur ein wenig, verglichen mit den meisten Leuten, aber für eine Hexe und einen
weißen Ritter ziemlich strahlend.
Molch sagte etwas, aber ich
erfasste die Worte nicht.
Ich riss den Blick von Wyst los
und senkte ihn auf meinen Vertrauten. »Wie bitte?«
»Ich habe gefragt: Wohin jetzt,
Herrin?« Die Frage kam in einen impertinenten Ton. Vor allem das letzte Wort.
Ich war viel zu guter Laune, um mich jetzt davon stören zu lassen.
Gwurm hob mich auf seine Schulter,
während ich antwortete: »Wir folgen dem Weg.«
Penelope schwebte in meine Hand
und Molch nahm seinen Platz auf meinem Schoß ein. Und wir machten uns auf den
Weg. Als die Hütte in der Ferne verschwand, ver-staute ich die Erinnerung daran
in meinem Gedächtnis. Sie war es wert, erinnert zu werden, nicht wegen der so
leisen wie elenden Kindheit, sondern wegen dieses kurzen Moments, in dem Wyst
und ich einander im Arm gehalten hatten. Diese Umarmung machte das
Höchstwahrscheinliche zu einer unvermeidbaren Sicherheit.
Wir reisten schweigend, aber mit
umso beredteren Blicken. Wyst und ich warfen uns zwar nur verstohlene
Seitenblicke zu, aber wir konnten doch niemandem etwas vormachen. Gwurm und
Penelope waren höflich genug, sie zu ignorieren. Molch brachte seine Einwände
mit Knurren, Grimassen und einem besonders verstimmten finsteren Blick zum
Ausdruck. Und die Meilen zogen vorbei.
Spät am Morgen wurde Wysts Pferd
unruhig. Es hielt ohne Vorwarnung an.
Wyst tätschelte den Hals seines
Reittiers. »Was ist los?«
»Das ist nicht richtig«, schnaubte
das Pferd.
»Wie das?«, fragte ich.
Das Pferd blinzelte dreimal ganz
bewusst. »Vor uns. Die Landschaft ist falsch. Überhaupt nicht richtig.«
Ich sprang von Gwurms Schulter und
machte meinen Kopf frei. Tiere besitzen Sinne, die sogar Hexen fehlen, aber
jetzt wusste ich, dass ich nach etwas Ausschau halten musste. Es waren ein paar
lange Momente sorgfältigen Studiums nötig, um die Beobachtung des Pferdes zu
entdecken.
Die Natur ist chaotisch. Auch eine
beschauliche Blumenwiese ist voller Unordnung, selbst wenn es fast unmerklich
ist. Aber die Landschaft vor uns bot ein Bild geradezu perfekter Ordnung. Das
Erste, was mir auffiel, waren die Bäume. Vor uns gab es vier, und dennoch
glichen sie sich in jedem Detail mit einem gekrümmten Stamm und einer exakten
Ausrichtung der Äste. Selbst die Rinde besaß dieselbe Farbe und Beschaffenheit
mit demselben Knoten in jedem Stamm.
Die vor uns verstreuten Steine
bemerkte ich als Nächstes. Es gab drei verschiedene Formen und Größen. Nur
drei. Als ich es einmal als das betrachtete, was es war, be-merkte ich sogar,
dass das Gras in einheitlichen Reihen angeordnet war, mit dem wohldurchdacht
arrangierten Muster von drei kurzen Halmen, einem längeren und zwei
mittelgroßen. Dies war nicht die Natur. Es war nur eine unglaublich gute
Simulation.
Die Horde von Phantom-Goblings war
eine Sache, aber eine Welt so komplett neu zu schaffen war ein Akt einmaliger
zauberischer
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