Eine hinreißend widerspenstige Lady
ein Geschmack, der ihn an den schauderlichen Atem seines launischen Kamels erinnerte.
Letzte Nacht hatte er von Daphne geträumt, oder zumindest hatte er gemeint, dass es ein Traum gewesen war. Sie hatte gesagt, sie sei nur hereingekommen, um ihn zu sehen, um sich zu vergewissern, dass er auch wirklich da sei.
Und nun war sie wirklich da - hier, in diesem Zimmer saß sie, auf dem Rand seines Diwans, und diesmal bildete er es sich nicht nur ein.
„Du wusstest nicht, dass ich komme?“, fragte sie ihn. „Hat dein Freund dir nicht gesagt, dass er Leute geschickt hatte, um mich zu holen?“
„Ich glaube, er mag Überraschungen“, erwiderte Miles. Köpfe in Körben beispielsweise. Er setzte sich auf und fuhr sich mit der Hand durchs Haar.
„Du siehst furchtbar aus“, meinte sie.
„Du auch“, gab er zurück. Und das nicht nur, weil sie angezogen war wie ein Ägypter, nur ohne Turban, sondern wegen ihres bleichen Gesichts und der dunklen Schatten unter den Augen.
Sie sah an sich hinab. „Mir blieb keine Zeit zu packen.“
„Ich meinte nicht deine Kleidung“, sagte er. „Was ist passiert?“
„Sie haben Rupert Carsington umgebracht“, sagte sie.
„Wie bitte?“
Sie wiederholte es. Und dann erzählte sie ihm, was sie während des letzten Monats so alles erlebt hatte.
Miles sank zurück auf den Diwan, hielt sich den Kopf uns versuchte, das Gehörte zu begreifen. Seine weltfremde Schwester, die außer Büchern nichts im Sinn hatte, war ganz allein aufgebrochen - oder nein, mit Rupert Carsington! Mit Lord Hargates missratenem Sohn! -, um Miles zu suchen. Ihren weiteren Abenteuern vermochte er kaum zu folgen, da er es noch immer nicht fassen konnte.
Die ruhige, gelehrte Daphne. Macht eine Verfolgungsjagd den Nil hinauf. Mit Rupert Carsington!
„Du hättest nicht so viel trinken sollen“, rügte sie ihn. „So kenne ich dich gar nicht. Ich will hoffen, dass es nicht Lord Noxleys Einfluss ist.“
Mühsam setzte er sich wieder auf. „Es ist dieser verfluchte Papyrus“, sagte er. „Jeden Abend kommt er damit an und will darüber reden. Ich glaube, er glaubt, dass ich etwas weiß, das ich nicht weiß.“
„Nun, du weißt ja wirklich nichts darüber“, meinte sie.
„Ich will sagen, dass ich glaube, er denkt dasselbe wie dieser verrückte Franzose.“
„Dass du ihn lesen kannst“, sagte sie.
„Ich habe ihm versichert, dass niemand ihn lesen kann und dass ich in Gizeh war, um mir noch mal den Zugang zur Chephren-Pyramide anzusehen. Weil ich dachte, wenn ich nur wüsste, was Belzoni dort gesehen hat, was ihm verraten hat, wo der Zugang sich befindet, könnte ich dieses Wissen hier in Theben anwenden und so vielleicht auch ein Königsgrab entdecken. Der Papyrus habe mich auf den Gedanken gebracht - mehr aber auch nicht. Doch Noxley löchert mich immer weiter, als würde er glauben, dass ich ihm ein Geheimnis vorenthalte.“
„Tust du doch auch“, meinte sie. „Mein Geheimnis.“
„Er glaubt, dass in dem Papyrus der Schlüssel zur Entzifferung der Hieroglyphen liegt. Deshalb betrinke ich mich - er macht mich verrückt.“
„Nun, dann sollten wir das Missverständnis besser aufklären“, sagte sie. „Er hat uns gebeten, ihm in der qa’a Gesellschaft zu leisten. Soll ich schon vorausgehen oder auf dich warten?“ „Warte“, sagte er. „Ich möchte dich lieber nicht mit ihm allein lassen.“
Sie lachte kurz auf.
„Was ist daran so witzig?“
„Es wäre nicht das erste Mal, dass ich mich einer Viper gegenübersehe“, meinte sie.
Er verstand nicht, was sie meinte. Sie benahm sich überhaupt ganz sonderbar. Das war nicht die Daphne, die er kannte. Wahrscheinlich lag es am Schock, dachte er sich. Sie hatte mitansehen müssen, wie ein Mann umgebracht worden war, und sie war mit Ghazi und seiner Mörderbande durch die Wüste gereist. Von der Bootsfahrt ganz zu schweigen. Mit Rupert Carsington!
Sie stand auf. „Dann werde ich in meinem Zimmer auf dich warten - es hat eine sehr schöne Aussicht.“
Erst nachdem sie gegangen war, wurde er sich der seltsamen Laute bewusst, die von fern herüberklangen. Ein heiseres Schreien, fast ein Kreischen. Irgendein Vogel vielleicht.
Wie unschuldig Noxley doch aussah, dachte Daphne, mit seinen goldenen Locken und den hell schimmernden Augen. Er war im arabischen Stil gekleidet, jedoch ohne Turban und Bart und ganz in Weiß, statt der leuchtend bunten Farben, wie sie die Einheimischen bevorzugten.
Ganz in Weiß, wie ein Engel.
Und er lächelte,
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