Eine hinreißend widerspenstige Lady
Meilen entfernt war. Auf Eseln ritten sie die einstige Sphinxallee entlang, wenngleich die meisten der Sphinxen zerstört waren und der südliche Teil der Allee unter Sand und Geröll begraben lag.
Doch die Zerstörung konnte dem Ort nichts anhaben. Auch der Erhabenheit der antiken Monumente tat es keinen Abbruch, dass sie halb verschüttet waren. Gewaltige Pylone, riesige Säulenwälder, Obelisken, Kolosse und Sphinxen - alles war genau so wie in der Description de l’Egypte dargestellt. Die Wirklichkeit übertraf gar noch alles, was Daphne sich vorzustellen vermocht hatte.
Während sie durch die große Säulenhalle liefen, ließ sie ihren Blick den von zwölf monumentalen Säulen gesäumten Gang hinabschweifen - die größten Säulen, die es je in einem ägyptischen Bauwerk gegeben hatte, wie Noxley wusste -, und sie fragte sich, was Rupert wohl davon gehalten hätte.
Fast meinte sie es vor sich zu sehen, wie er zu den wie Lotosblüten geformten Kapitellen hinaufblickte - ganz so, wie er auch zur Chephren-Pyramide hinaufgeblickt hatte: Hände auf den Hüften, die schwarzen Haare vom Wind zerzaust. Ihr war, als würde sie ihn mit tiefer Stimme sagen hören: „Ganz schön groß.“
Und da musste sie lächeln, doch die Lippen zitterten ihr. Sie schluckte schwer, Tränen nahmen ihr die Sicht.
Rasch schloss sie die Augen und hielt die Tränen zurück. Sie musste arbeiten, ihren Geist beschäftigen, anstatt sich von Gefühlen überwältigen zu lassen. Ihre Studien hatten ihr früher immer Kraft gegeben, und das würden sie auch diesmal wieder. Ihr Verstand war der einzige Verbündete, auf den stets Verlass war. Mit der Zeit würde er ihr den Weg weisen.
In dieser Nacht träumte Daphne von einem Pharaonengrab.
Sie stieg sechzehn Stufen zu dem Eingangskorridor hinab, an dessen Ende eine Kammer lag, in der sich allerlei Dinge fanden: Kisten, Körbe, Gläser und in Tierformen geschlitzte Möbel. Ihr Blick schweifte nach rechts, zu zwei Figuren, die einen Durchgang bewachten. Sie trat zwischen den beiden hindurch und gelangte in eine dunkle Kammer.
Ein schwaches Licht wies ihr den Weg zu einer Tür. Sie öffnete sie. In der Grabkammer stand ein goldener Sarkophag, an dem vier Göttinnen wachten und die Schwingen schützend darüberbreiteten.
Daphne trat näher, stieg ein paar Stufen hinauf und blickte in den Sarkophag.
Und da lag Rupert Carsington, als ob er schlafe, um seine Lippen ein feines Lächeln, wie bei der Statue Ramses’ des Großen in Memphis.
Er trug einen Schurz aus goldenem Tuch und hatte die Arme vor der nackten Brust gekreuzt. Im dämmrigen Licht schimmerte seine Haut wie dunkles Gold.
Daphne berührte sein Gesicht.
„Du fehlst mir“, flüsterte sie.
Tränen rannen ihr über die Wangen und tropften auf die seinen.
„Daphne“, sagte er. „Wach auf.“
Nein. Sie wollte nicht fort aus ihrem Traum, würde sie ihm doch nur noch in ihren Träumen begegnen.
„Daphne, wach auf.“
Sie versuchte, Nein zu sagen, brachte aber kein Wort heraus.
Sie schlug die Augen auf und sah nur Dunkelheit. Eine Hand schloss sich über ihren Mund. Nicht ihre Hand. Nein, eine große Hand, groß ... und vertraut.
Da war ein Geruch ... nach Mann. Er.
Eine tiefe Stimme warnte sie leise: „Nicht schreien, nicht weinen, nicht in Ohnmacht fallen.“
„Ich ... falle nie ... in Ohnmacht“, stieß sie schluchzend hervor und schlang ihre Arme um seinen Hals.
20. KAPITEL
Wunderbar weich und wohlgerundet fühlte Daphne sich unter der dünnen Decke an - und fast nackt war sie noch dazu, wie Rupert feststellte, als er sie an sich zog. Das kamis war ihr bis zur Taille hochgerutscht, der Rest war bloße Haut, rein und seidig glatt... und fremd.
Etwas fehlte.
Er vergrub sein Gesicht an ihrem Hals und schnupperte.
Dann hob er den Kopf und flüsterte: „Was haben sie mit dir gemacht? Wo ist dein göttlicher Weihrauchduft geblieben?“
„Was sie mit mir gemacht haben? Mit mir? Ich dachte, du seist tot!“
„Ich weiß. Das dachte ich zunächst auch.“
„Ich habe gesehen, wie sie dich erschossen haben“, sagte sie. „Du hast dir die Brust gehalten, bist über Bord gefallen und nicht wieder aufgetaucht.“
„Die Kugel hat mich gestreift, direkt unter dem Arm“, erwiderte er. „Nur ein Kratzer. Aber ich bin gestolpert. Habe das Gleichgewicht verloren und bin über Bord gegangen. Und natürlich musste ich mir mal wieder den Kopf anschlagen. Erst ein ganzes Stückchen flussabwärts kam ich wieder zur Besinnung,
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