Eine hinreißend widerspenstige Lady
nicht leicht, doch nach dem heutigen Tag war es ihr schier unmöglich.
Die Ramses-Kartuschen ... der Kuss ... die Stufenpyramide, die Grabkammer und die faszinierenden Falken ... der Kuss ... die Schrifttafel... wie die Schlange sich auf sie gestürzt hatte ... dem Tode nah ... der Kuss ... wunderlich, fast ein Traum, wie eine schlafende Prinzessin in den Armen eines Dschinn von ihm getragen zu werden ... der Kuss ...
Um die zahlreichen ungehörigen oder verstörenden Themen zu meiden, beschränkte sie den Gesprächsstoff auf langweiligstes Gelehrtenwissen. Während sie noch bei Kaffee und Süßem zusammensaßen, erging sie sich über die koptische Sprache, von der man annahm, dass es eine moderne Form des Altägyptischen sei. Das Koptische würde zwar auch nicht mehr als Umgangssprache gebraucht, fügte sie hinzu, fand aber noch als Kirchensprache der ägyptischen Christen Verwendung. In der Schriftform bediene man sich des griechischen Alphabets, ergänzt um einige spezielle Lautzeichen.
Dann erklärte sie, wie man vermittels des Koptischen die Hieroglyphen entziffern könnte.
Mr. Carsington blickte stirnrunzelnd in seine Kaffeetasse. Daphne fragte sich, worüber er wohl nachgrübelte. Gewiss nicht über das Koptische, da war sie sich sicher, denn etwas Langweiligeres ließ sich kaum denken.
Worüber hätte sie eigentlich mit ihm gesprochen, wäre er nicht hinter ihr Geheimnis gekommen?
„Ich rede zu viel“, meinte sie. „Miles hätte schon längst gerufen: ,Genug davon! Mir platzt gleich der Kopf!“ Sie müssen Bescheid sagen, Mr. Carsington, wenn ich aufhören soll. Ich vergesse leider immer, dass wohl niemand - auch kaum ein Gelehrter - das Koptische so faszinierend findet wie ich. Ihre Cousine Miss Saunders ist eine der wenigen, die mein Interesse teilen. Wir haben äußerst angeregt über dieses Thema korrespondiert, und sie war es auch, die mir vor Jahren, als ich anfing, mich ernsthaft mit den Hieroglyphen zu befassen, einige Wörterbücher besorgt hat.“ Daphne hielt kurz inne und biss sich auf die Lippe. „Nun ja, das interessiert Sie gewiss nicht.“
„Doch“, erwiderte er. „Faszinierend. Meine Cousine Tryphena hat Ihnen Wörterbücher besorgt.“
„Und zahlreiche Papyri“, fügte sie hinzu.
„Mr. Pembroke dürfte sich wohl zu sehr der Theologie verschrieben haben, als dass er Zeit gefunden hätte, Wörterbücher und Papyri für Sie aufzutreiben“, vermutete er.
„Mr. Pembroke war wenig angetan“, sagte sie und versuchte sich wenig erfolgreich darin, amüsiert zu klingen.
„Von Ägypten im Allgemeinen?“ Fragend hob er seine dunklen Brauen. „Ich kann durchaus verstehen, dass er die Gefahren einer Reise meiden wollte, aber was hatte er gegen das Studium der ägyptischen Sprache einzuwenden?“
„Wie die meisten Vertreter Ihres Geschlechtes, so war auch Mr. Pembroke der Ansicht, dass intellektuelle Betätigung kein angemessener Zeitvertreib für Frauen sei.“
„Was Sie nicht sagen“, sagte er. „Welches Übel mag er bloß dahinter gewittert haben? Oder störte ihn die Hingabe, mit der Sie sich Ihren Studien widmeten? War er vielleicht eifersüchtig? Bei der Ramses-Statue meinten Sie, es sei eine Leidenschaft. Erinnern Sie sich noch? Kurz bevor ...“
Sie stand unvermittelt auf. „Ich kann kaum noch die Augen offenhalten“, unterbrach sie ihn. „Wahrscheinlich sollte ich heute früh zu Bett gehen. Gute Nacht.“ Ihr Gesicht glühte, als sie aus der vorderen Kabine auf den Gang hinauseilte. Bis zu ihren Privaträumen war es glücklicherweise nicht weit.
Doch weit genug. Denn schon vernahm sie Schritte, und seine tiefe Stimme erklang dicht hinter ihr.
„Was für ein Dummerchen Sie sind“, meinte er. „Wir befinden uns auf einem Boot. Was glauben Sie wohl, wie weit Sie kommen, wenn Sie jetzt weglaufen?“
„Ich laufe nicht weg.“ Natürlich tat sie das, und sie wusste, dass es dumm und kindisch war. Vor ihm hatte sie auch keine Angst.
Sie fürchtete allein sich selbst, ihr ungestümes Wesen, dem nicht zu trauen war, das mit Büchern und Papieren, Schreibfedern und Stiften eingeschlossen und gebändigt gehörte.
„Ein Feigling sind Sie nicht“, stellte er fest. „Warum benehmen Sie sich dann so feige?“
Sie war an der Tür zu ihrer Kabine angelangt. Als sie ihre Finger um den Knauf schloss, legte er die Hand auf die Tür und stemmte sich dagegen. Der Gang war schmal, und weiter ging es nicht. Mr. Carsington stand dicht vor ihr und schnitt ihr den Weg in
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