Eine hinreißend widerspenstige Lady
jetzt heulte es laut auf und zog ihm seine Gedärme zusammen.
Und das alles wegen ein paar Küssen von einer Witwe, die ihm ganz klar gesagt hatte, dass sie sich körperlich von ihm angezogen fühlte!
„Nun, es sieht so aus, als wären wir ein paar Tage zu spät gekommen“, sagte er schließlich. „Aber wenn wir es einmal positiv betrachten, so wissen wir jetzt wenigstens, dass wir auf der richtigen Spur sind - er wird nicht in Kairo gefangen gehalten. Er kann uns nicht mehr als eine Woche voraus sein.“
„Oder eine Woche zurück“, wandte sie ein. „Er könnte versuchen, nach Kairo zurückzukehren.“
Er könnte auch tot sein. Oder sich in einem anderen Versteck aufhalten. In Anbetracht der Tatsache, dass es in den Felsen unzählige solcher Grabhöhlen gab, grenzte es ohnehin an ein Wunder, dass sie nach nur einem halben Tag eine Spur von Archdale gefunden hatten.
Aber das wusste sie ebenso gut wie Rupert, und wenn er ihr jetzt nicht endlich etwas Aufmunterndes sagte, würde sie gänzlich den Mut verlieren. Ihr Gesicht nähme jenen angestrengten leichenbleichen Ausdruck an, der ihm noch mehr zusetzte, als wenn sie tatsächlich weinen würde.
„Man sollte meinen, dass Noxious ihn längst gefunden haben müsste“, fuhr er fort. „Gewiss hat auch er von dem Bootsunfall gehört und dann eins und eins zusammengezählt. Dazu muss man wahrlich kein Genie sein - sogar ich bin ja drauf gekommen.“
Sie hob den Blick, und er sah, dass sie langsam aus dem Dunkel hervorkam, in das sie sich verkrochen hatte. Ihre Miene hellte sich auf. Selbst im flackernden Fackelschein konnte Rupert sehen, wie ihre bemerkenswerten Augen hin und her wanderten. Ein sicheres Anzeichen dafür, dass ihr Verstand wieder arbeitete.
„Ach herrje, den hatte ich ganz vergessen“, gestand sie. „Aber wie hätte ich auch an ihn denken sollen, wenn niemand ihn je erwähnt hat. Ist das nicht seltsam? Sie sagten, sein Boot sei recht auffällig und er schon oft den Nil hinauf- und hinabgefahren. Die Leute hier müssten sein Boot gesehen haben. Und der kashef müsste ihn kennen.“
„Gar nicht seltsam“, befand Rupert. „Die Bewohner dieses Landstrichs reden ja kaum mit uns.“
„Dann bringen wir sie eben dazu, zu reden“, sagte sie. Die spärlichen Habseligkeiten ihres Bruders an die Brust gedrückt, eilte sie hinaus.
Während sie zum Anleger zurückkehrten, überlegte Daphne, ob sie als Bakschisch ein weiteres Paar der prächtigen Pistolen opfern sollte oder lieber eines von Miles’ technischen Instrumenten. Sie war froh, wieder einen Plan zu haben und sich produktive Gedanken machen zu können.
Ihr war nicht bewusst gewesen, wie groß - wie schmerzlich überwältigend - ihre Hoffnung gewesen war, bis sie dann zunichtegemacht worden war. Bis sie Miles’ verschmutztes Hemd in Händen hielt, war sie sich auch keineswegs bewusst gewesen, wie sehr sie ihn vermisste. Und die zertrümmerten Fesseln zu sehen ... sich vorzustellen, was er hatte durchmachen müssen, und sich dabei so hilflos zu fühlen ... Streng hatte sie sich angehalten, ihrer Verzweiflung nicht nachzugeben, sondern dankbar zu sein, nicht seinen Leichnam gefunden zu haben. Sie hatte sich das Weinen untersagt, denn dadurch wurde nichts gewonnen.
Aber noch nie war ihr so danach zumute gewesen, auf die Knie zu sinken und zu weinen, bis sie keine Tränen mehr hätte.
Doch als Mr. Carsington Lord Noxley erwähnt hatte, ging es ihr gleich schon ein wenig besser.
Hatte Seine Lordschaft nicht selbst darauf verwiesen, wie rasch Neuigkeiten sich hierzulande verbreiteten? Daher war es in der Tat seltsam, dass niemand in Minya ihn erwähnt hatte. Er hätte dort gewiss anlegen und neue Vorräte an Bord nehmen müssen, denn Assyut, die nächste größere Stadt flussaufwärts, war noch fast hundert Meilen entfernt.
Sich über die angemessene Form der Bestechung und Seine Lordschaft Gedanken zu machen lenkte sie von ihren Sorgen ab. Als sie den Fluss fast erreicht hatten, drängte sich indes eine junge Frau an ihren männlichen Begleitern vorbei und hielt Daphne ein in schmutzige Lumpen gewickeltes Baby hin.
„Helfen Sie meinem Kind!“, rief die Frau in klagendem Arabisch. „Wirken Sie Ihre Wunder, englische Dame!“
Einige der Männer versuchten, die Frau fortzuzerren.
Mr. Carsington legte seinen Arm um Daphnes Schultern.
„Ihr Baby ist krank“, stellte sie klar.
„Das sehe ich auch“, erwiderte er. „Aber hier sind alle krank, und ich traue keinem. Tom, nimm eine
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