Eine hinreißend widerspenstige Lady
es hier von Ratten nur so wimmelt?“
„Ja, das ist in der Tat interessant“, meinte Mr. Carsington. „Welch interessante Dinge sich doch in Ihrer Nähe ereignen.“ Seine belustigte Miene wich einem Ausdruck der Verwunderung. Oder der Verwirrung?
Aber warum sollte er verwirrt sein? Die ungehörig innige Umarmung schien nicht nur ihre Moral, sondern auch ihren Verstand ramponiert zu haben.
Doch jäh war sein befremdlicher Gesichtsausdruck verschwunden und sein Blick wieder auf den Mungo gerichtet. „Vielleicht sollte ich mir das Hemd mal ansehen.“
Wachsam beobachtete das Tier sie. Sein Fell sträubte sich.
„Ich weiß nicht, ob das so schlau wäre“, meinte Daphne. „Sie macht den Eindruck, als wolle sie es nicht kampflos hergeben.“
Da trat auf einmal Nafisah vor und fragte, ob sie mal schauen dürfe.
Daphne und Mr. Carsington ließen sie vorbei. Die kleine Sabah zeigte auf den Mungo und brabbelte vergnügt.
„Das ist ja der Mungo von meinem Nachbarn!“, rief Nafisah. „Eigentlich ist sie zahm, aber in letzter Zeit gab es Ärger mit ihr. Nachts habe ich sie bei meinen Hühnern erwischt und mit dem Stock fortgejagt. Da kam der Nachbar wütend angerannt und sagt, ich hätte ihr das Bein gebrochen. Jetzt humpelt sie, sagt er, und kann keine Schlangen mehr jagen, weil sie zu langsam ist. Aber ich glaube ja, dass er das war, mit dem Bein, und sie meinen Hühner die Eier nur wegfressen wollte, weil sie Hunger hatte. So was traut sich mein Nachbar auch nur, weil ich keinen Mann habe, der mich verteidigen kann. Sehen Sie, wie sie lahmt?“, rief sie.
In Ägypten lag die Würze keineswegs in der Kürze, weshalb Daphne die Geschichte auch in einem einzigen englischen Satz zusammenfasste. Mr. Carsington ging in die Hocke, streckte die Hand mit dem süßen Gebäck aus und lockte die Mungodame: „Komm, meine Liebe. Möchtest du nicht lieber was Süßes als dieses schmuddelige Hemd?“
Reglos blickte das Tier auf das Gebäck.
„Sie ist ein ägyptischer Mungo“, gab Daphne zu bedenken und hockte sich neben ihn. „Ta’ala heneh“, flüsterte sie. Komm her.
Das Tier sah zu ihr und schnupperte.
„Ta’ala heneh“, wiederholte Daphne.
Ihren Fang mit sich schleifend, wagte sich die Mungodame ein paar Schritte vor und blieb dann vor ihnen stehen, fiepte sie leise an und nahm auf dem Hemd Platz, den Ärmel noch immer fest zwischen den Zähnen. Beim Gehen hatte sie leicht mit dem linken Vorderlauf gehumpelt.
„Alistair läuft genauso“, stellte Mr. Carsington fest.
„Ihr Bruder, der in Waterloo verwundet wurde?“, vergewisserte sich Daphne.
Er nickte. „Auf Frauen ist sein Humpeln von herzerweichender Wirkung. Sie seufzen. Sie fallen in Ohnmacht. Sie machen sich an ihn heran. Vielleicht sollte ich auch zu humpeln anfangen.“ Schräg sah er sie von der Seite an. Seine Augen funkelten.
Es war nicht einfach nur ein Blick. Es war diese vielsagende und vertrauliche Geste. Sie weckte in ihr die Erinnerung daran, seinen Mund zu schmecken, seine Hände und seinen Körper zu spüren. Es erinnerte sie an das wilde Glücksgefühl, das sie bestürmt und durchströmt hatte, als sie zum ersten Mal die Pistole abgefeuert und als sie ihn geküsst hatte. Erst hatten ihre Knie nachgegeben, dann ihr Verstand.
Während Daphne mit ihrem doch einst so klaren Verstand rang, meinte Nafisah abermals: „Das ist der Mungo von meinem Nachbarn. Da bin ich mir ganz sicher.“
Daphnes Verstand berappelte sich, und sie wandte ihre Aufmerksamkeit der jungen Frau zu und dem, was sie soeben gesagt hatte. „In jener Nacht hast du doch auch den Geist gesehen, Nafisah“, meinte sie. „Erzähl mir von dem Geist.“
Als sie in die vordere Kabine zurückkehrten, übersetzte Daphne für Mr. Carsington, der das Wesentliche jedoch schon von Lina erfahren hatte.
Nafisah hatte das Gespenst Donnerstagnacht gesehen. Am nächsten Morgen erzählte sie der Nachbarin davon. Bald darauf kamen Leute des kashef bei ihr vorbei und verhörten sie. Sie berichtete, was sie wo gesehen hatte. Sie gaben ihr Geld und verschwanden wieder. Später dann sah sie ein paar Männer zu den Felsengräbern gehen. Es waren Fremde, nicht aus dem Dorf oder aus Minya, aber die meisten Leute im Dorf schienen zu wissen, wer sie waren, und hatten Angst vor den Männern.
„Sollen wir noch mal zum kashef ?“, fragte Daphne. „Ein Präsent dürfte uns gewiss zu den nötigen Informationen verhelfen.“
„Gleich morgen früh werde ich mich darum kümmern“,
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