Eine hinreißend widerspenstige Lady
Münze aus meinem Rock, und gib sie ihr.“ Er zog Daphne mit sich. „Kommen Sie.“
Sie folgte ihm, drehte sich aber noch mal um. Die Frau war sehr jung, fast noch ein Mädchen. Als Udail/Tom ihr das Geld hinhielt, schüttelte sie den Kopf. Tränen strömten ihr über die Wangen. „Mein Baby“, jammerte sie. „Bitte, englische Dame!“
Fragend sah Daphne Mr. Carsington an.
Er schien irgendwelche Qualen zu leiden.
An die Frau gewandt meinte er: „Kommen Sie mit.“
Rupert war nicht entgangen, dass die Mutter jung, arm und sehr verzweifelt war. Er wollte sie nicht einfach so stehen lassen. Aber dennoch könnte es eine Falle sein. Oder nur Scherereien einbringen. Wenn das Baby starb - und es sah wahrlich so aus, als würde es gleich seinen letzten Atemzug tun -, könnte das auch für sie Folgen haben, und zwar keine guten. Tom und Lina waren sich darin einig gewesen, dass Blutrache auf dem Lande noch sehr beliebt war.
Rupert hatte schon genug damit zu tun, Mrs. Pembroke und ihre Entourage vor Schurken zu beschützen. Eine Horde auf Rache sinnender Dorfbewohner hatte ihnen gerade noch gefehlt.
Das Vernünftigste wäre, dem Mädchen ein ordentliches Bakschisch zu geben und sich dann so schnell wie möglich aus dem Staub zu machen.
Er wäre auch vernünftig gewesen, er hätte, wenn nötig, Mrs. Pembroke eigenhändig davongetragen, wenn - ja, wenn dieses verflixte ägyptische Frauenzimmer nicht auf einmal zu weinen begonnen hätte.
Sowie die ersten Tränen flössen, wusste er, dass er keine Chance hatte.
Sicher brachte er sie an Bord der Isis. Mit den anderen Männern blieb er an Deck, um Wache zu halten. Ab und an tauchte Lina aus der mittleren Kabine auf, die zum Krankenzimmer umfunktioniert worden war. Ihre Berichte zur Befindlichkeit des Säuglings gaben durchweg wenig Hoffnung. Das Kind leide an einem Fieber, vielleicht Typhus oder Schlimmeres. Selbst robuste Erwachsene wurden davon dahingerafft. Sie habe gehört, dass Fieber auch den Generalkonsul einige Male an die Schwelle des Todes gebracht habe - und das, obwohl er richtige Ärzte habe, nicht nur Schamanen und alte Kräuterhexen. Wie wenig Hoffnung musste da für ein schwaches, unterernährtes Baby bestehen, das tagelang nur mit Zaubersprüchen behandelt worden war? Jetzt würden sie sich alle mit dem Fieber anstecken und hier, an einem der schmutzigsten, schauderlichsten Orte auf Erden, elendig zugrunde gehen, und wenn sie alle tot wären, kämen die Dorfbewohner, würden das Boot plündern und ihre Leichen über Bord und den Krokodilen zum Fraß vorwerfen.
Nachdem Lina zu ihrer Herrin - und dem wohl unvermeidlich nahenden Tod - zurückgekehrt war, verfluchte Rupert sich dafür, dass er wieder einmal zum Opfer weiblicher Tränen geworden war.
Er war wirklich ein Idiot. Nein, schlimmer noch - er war ein Fleisch gewordenes Klischee.
Frauen weinten bekanntermaßen. Sie weinten schnell und häufig. Ein Mann hingegen sollte fähig sein, dennoch seinen Verstand zu wahren. Wäre ihm dies gelungen, würde Mrs. Pembroke nun nicht in Gefahr sein - zumindest nicht in größerer Gefahr, als sie es ohnehin war -, sich irgendeine der hier kursierenden Krankheiten einzufangen.
Sie waren meilenweit von der Zivilisation entfernt. Außer Mrs. Pembrokes Medizinkoffer, dessen Vorräte dank der häufigen Malheurs der Bootsmannschaft beständig schrumpften, gab es keine medizinische Versorgung. Mit Erfolg hatte sie einen geprellten Fuß behandelt, einen geschwollenen Daumen sowie einen schweren Fall von Sonnenstich. Rupert fragte sich, wie gut sie sich wohl mit der Behandlung von Fiebern auskannte. Besser als er auf jeden Fall, so viel war gewiss. Würde sie krank, hätte er nicht die leiseste Ahnung, was zu tun wäre.
Von Sonnenuntergang bis zur Stunde, da die ersten Sterne sich am nächtlichen Himmel einfanden, lief Rupert an Deck auf und ab, brummte unwirsch, wenn er angesprochen wurde, und machte wiederholt Toms Versuche zunichte, ihn in die vordere Kabine zum Abendessen zu locken.
Als er Schritte hinter sich hörte, nahm er an, dass es schon wieder Tom sei, der ihn zum Essen nötigen wolle.
„Nein, ich will nichts essen“, sagte Rupert. „Nein. Ist das so schwer zu verstehen? Ich dachte, du hättest das englische Wort endlich gelernt. Offensichtlich wohl nicht. Was heißt „nein“ auf Ägyptisch? Wie wäre es mit bokra ? Heute nicht.“
„Nein heißt la“, ließ sich eine belustigte Frauenstimme hinter ihm vernehmen. „Um höflich abzulehnen,
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