Eine hinreißende Schwindlerin
unter vier Augen treffen wollten. Das hatte zur Folge, dass wir in einer unziemlichen Situation ertappt wurden, und dann sind Sie einfach verschwunden. Es ist sieben Tage her, seit ich Sie zuletzt gesehen habe. Was haben Sie bloß in der Zeit gemacht?“
Ned verzog das Gesicht und sah sich im Zimmer um. Alle möglichen Erklärungen gingen ihm durch den Kopf, doch dann beschloss er, möglichst nahe an der Wahrheit zu bleiben. „Ich litt unter einem vorübergehenden Anfall von Wahnsinn.“
Sie schüttelte den Kopf. „Dieses Leiden scheint in Ihrer Familie ziemlich verbreitet zu sein. Sollte ich mir Sorgen machen?“ Um ihre Lippen spielte der Anflug eines Lächelns, bestimmte glaubte sie, er hätte wieder einen Scherz gemacht.
Ned dachte an die Dunkelheit, die von Zeit zu Zeit über ihn kam und ihn seiner ganzen Kraft beraubte. Und er dachte an seinen Vorsatz, der ihm plötzlich wie ein schwaches Schilfrohr im tosenden Sturm vorkam. „Ja“, sagte er ernst. „Das sollten Sie.“
Sie schloss die Augen. „Nun, das ist ja alles sehr romantisch. Im Grunde wollen Sie mich gar nicht heiraten, nicht wahr?“
Zu einer Ehe sollten seiner Meinung nach viele gute Voraussetzungen gehören. Zuneigung. Freundschaft. Verliebtheit. Er jedoch hatte Lady Kathleen nur eine anzubieten – Ehrlichkeit. „Nein“, erwiderte er. „Andererseits – wollen Sie mich überhaupt heiraten?“
Sie schwieg eine ganze Weile. „Ich bin die Tochter eines Dukes. Deswegen hatte ich nie erwartet, einmal aus Liebe zu heiraten. Stattdessen hatte ich immer damit gerechnet, irgendwann den Erben eines hochrangigen Titels zu heiraten – und hier sind Sie.“ Sie sah ihn unter langen Wimpern her an und er bekam ein flaues Gefühl. „Sie bringen mich zum Lachen. Und Sie sind kein aufgeblasener Wichtigtuer.“ Sie warf einen Blick zur Tür. „Sie verstehen hoffentlich, dass ich das einzige Kind meines Vaters bin und ihm deshalb bei manchen Angelegenheiten im Oberhaus behilflich sein werde. Stört Sie das?“
„Nein.“ Er schluckte und sah zur Seite. „Lady Kathleen, ich möchte nicht, dass Sie sich zu viel von mir versprechen. Schließlich bin ich …“
Sie unterbrach ihn, indem sie nach seiner Hand griff. Doch anstatt sie einfach nur zu halten, schüttelte sie sie energisch, als besiegelte sie damit einen Geschäftsabschluss und nicht eine Heirat. „Das genügt mir.“
Und damit war Ned verlobt.
Gareth war genau zur verabredeten Uhrzeit eingetroffen. Während der Fahrt spürte Jenny, wie er sie immer wieder verstohlen von der Seite her ansah. Die Sonne schien hell, die Vögel zwitscherten. Der Tag schien wie aus der Fantasie einer verträumten Schriftstellerin entsprungen – ein Phaeton, zwei zügig trabende Pferde und ein gut aussehender Mann. Die Luft war frisch und klar, als das Gefährt über die Blackfriars Bridge rollte.
Doch der gut aussehende Mann gab keine Liebesschwüre von sich und außerdem würde sie ihn ohnehin verlassen.
Was er nicht mit Worten sagte, drückte er mit Gesten aus. Sie merkte ihm sein Unbehagen an jeder seiner Bewegungen an, an der angespannten Art, wie er die Zügel hielt, an seinen einsilbigen Antworten. Und immer, immer wieder daran, wie er sie ansah. Argwöhnisch, als hätte sie irgendwo eine Waffe verborgen.
Jenny hätte weinen können.
Sie legte ihre Hand auf seine. Seine Wangenmuskeln zuckten, er sah geradeaus. Ernst und gelassen.
Irgendwann bog er in einem ruhigen, gediegenen Viertel in eine Straße ein, dem Schild nach war es die Halfmoon Lane. Vor einem eleganten Reihenhaus brachte er die Pferde zum Stehen. Gekonnt warf er die Zügel dem Stalljungen zu, der hinten auf dem offenen Wagen mitgefahren war. Die Pferde stampften mit den Hufen und schüttelten ihre Mähnen. Nach dem Rattern der Räder auf dem Kopfsteinpflaster empfand Jenny die Stille des Nachmittags fast bedrückend. Gareth zog einen schwarzen Handschuh aus und streckte die Hand nach ihr aus. Sie ergriff sie und stieg vom Wagen.
Er ließ ihre Hand wieder los, drehte sich abrupt um und ging auf die Haustür zu. Jenny, die ihm folgte, sah, dass der Türklopfer von der glänzenden blauen Tür entfernt worden war. Gareth fasste in seine Tasche und zog einen Schlüssel hervor. Sekunden später öffnete er die Tür mit großartigem Schwung, wie ein Künstler, der sein Werk enthüllte. Er bedeutete Jenny, näher zu treten.
Jenny trat in die Eingangshalle. Ihre Schuhsohlen klapperten auf dem schwarzen Marmorboden, der so blank poliert
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