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Eine Hochzeit im Dezember: Roman (German Edition)

Eine Hochzeit im Dezember: Roman (German Edition)

Titel: Eine Hochzeit im Dezember: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anita Shreve
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Gemeinschaft. Eine Ehefrau. Ein Ehemann. Ein Geliebter oder eine Geliebte, mit dem/der man zusammenlebte. Agnes und Jim hatten in Motelzimmern und Ferienhäusern zusammengewohnt, aber nie länger als drei Tage hintereinander. Wie wäre es, mit einer vollen Einkaufstüte im Arm nach Hause zu kommen und dort Jim vorzufinden, der auf der Couch lag und die Zeitung las? Jeden Morgen nach dem Erwachen seinen langen Rücken betrachten zu können, wenn er sich hinunterbeugte, um seine Schuhe anzuziehen? Sich an ihn schmiegen zu können, wann immer es sie danach verlangte?
    …  Vereinigung von Mann und Frau in der Gemeinschaft der Ehe …
    Noch etwas, was Agnes nie erleben würde: die eigene Hochzeit. Eine öffentliche Bestätigung ihrer Beziehung mit Jim. Eine ganz alltägliche Sache – und doch völlig ausgeschlossen für sie. Sie schüttelte den Kopf. Das Selbstmitleid war ein Faß ohne Boden. Erbärmlich im Grunde. Und absolut sinnlos. Was half es, um etwas zu weinen, was sie niemals würde haben können? Gar nichts. Allenfalls erreichte sie damit, daß die anderen sich wunderten und sie sich eine plausible Erklärung für ihre Tränen einfallen lassen müßte. Sie kannte Bill und Bridget als Erwachsene, kaum, auch wenn sie sie mochte.
    (Agnes kam plötzlich ein entsetzlicher Gedanke. Würde Bridget womöglich ihre Tränen falsch verstehen und glauben, Agnes weinte, weil sie, Bridget, vielleicht bald sterben mußte?)
    Sie schneuzte sich noch einmal und lehnte sich zurück. Josh zog seinen Arm weg und drückte kurz ihr Bein. Dann stand er auf. Agnes nahm es mit Verwirrung zur Kenntnis. War die Feier vorbei? Er wandte sich den versammelten Gästen zu. Er schien sich zu konzentrieren, und Agnes glaubte schon, er würde eine Ansprache halten, wie die Leute das manchmal ganz spontan bei Begräbnissen taten. Ein bißchen seltsam. Ein bißchen verwunderlich. Josh gehörte ja eigentlich nicht dazu, so nett er war.
    Doch Josh sprach nicht, er begann zu singen. Eine Arie, vermutete Agnes. Ja, es mußte eine Arie ein. Aus einer italienischen Oper. Oder aus einer Oper in italienischer Sprache. Vielleicht kannte sie das Werk sogar. Sie hörte im Radio oft Opern. Sie schloß die Augen und faltete die Hände im Schoß. Hatte Nora das arrangiert? Nein, das war sicher Robs Idee gewesen. Vielleicht war Josh nicht nur Cellist, sondern auch Sänger. Jemand, der so gut war, konnte das nicht für sich behalten.
    (War es falsch, fragte sie sich jetzt, Louise blind werden zu lassen? Allzu herzlos?)
    Das Lied war zu kurz, Agnes war traurig, daß es so schnell zu Ende war. Sie hätte gern geklatscht, aber bei einer Trauung wurde nicht geklatscht. Sie wünschte sich mehr von dieser Musik. Sie hatte das Gefühl, ganz nahe an etwas in ihrem Inneren herangekommen zu sein, und das war wichtig für sie.
    Agnes schaute auf. Die Friedensrichterin erklärte Bill und Bridget zu Mann und Frau. So schnell? War die Trauung schon vorüber? Sie hatte kaum ein Wort mitbekommen.
    Sie mußte sich zusammennehmen. Gleich würde es ein Essen geben, Toasts, Feststimmung. Das ganze Wochenende hatte zu diesem Augenblick hingeführt. Sie würde behaupten müssen, daß sie bei Hochzeiten immer weinte; albern, würde sie hinzufügen, um alles ins Lächerliche zu ziehen. Allen Fragen würde sie mit Begeisterungsrufen über Bridget, Joshs Gesang und Robs Klavierspiel vorbeugen. Wie glücklich sie sich doch preisen könnten, so talentierte Menschen zu ihren Bekannten zu zählen!
    Sie stand auf, ihre Knie waren ganz steif, weil sie sich die ganze Zeit so sehr verkrampft hatte. Um Bill und Bridget hatte sich schon eine kleine Freundesgruppe geschart. Jerry im anthrazitgrauen Anzug ohne Schlips. Julie, damit beschäftigt, den Haarknoten in ihrem Nacken fester zu drehen. Harrison, der Bill die Hand schüttelte. Josh, der sich von Bridget umarmen ließ. Rob, der etwas abseits stand und den Stolz auf seinen Partner kaum verbergen konnte. Nein, dachte Agnes, sie mußte in ihr Zimmer gehen und sich das Gesicht waschen. Hatte sie Augentropfen mitgenommen?
    »Agnes«, sagte Harrison und zog sie mit einer kurzen, schnellen Bewegung an sich. Ihr Gesicht wurde an sein Hemd und seine Krawatte gedrückt. Sie roch die Seife, die er benutzt hatte, oder sein Rasierwasser. Er stellte ihr keine Fragen, und sie war ihm dankbar dafür.
    Er hielt sie lange. Die Bewegung um sie herum ließ nach, die Stimmen verklangen.
    Sie löste sich von Harrison. »Ich bin einfach – ich weiß auch nicht«,

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