Eine Hochzeit im Dezember: Roman (German Edition)
sagte sie.
»Du bist total mitgenommen.« Er sah sie prüfend an. »Wo ist dein Zimmer?«
»Zweiundzwanzig.«
»Ich bringe dich rauf und warte auf dich.«
»Das ist wirklich nicht –«
Harrison ließ sie nicht aussprechen. Er legte seine Hand unter ihr Kinn und hob ihr Gesicht an – dieses reizlose, verwüstete Gesicht. Es war Jahre her, daß ein Mann sie so angefaßt hatte.
»Agnes«, sagte Harrison. »Was ist los? Warum bist du so traurig?«
Sie wollte so gern mit ihm sprechen, aber was sollte sie denn sagen? Ich liebe einen Mann, habe ihn immer geliebt, aber er erwidert meine Liebe nur sporadisch und läßt lange, unerklärliche Lücken dazwischen? Nein, das konnte sie nicht sagen, nicht zu diesem liebevollen Menschen.
» ALSO, PASST AUF «, sagte Jerry. »Ihr steigt in ein Flugzeug und setzt euch auf eure Erster-Klasse-Plätze. Nach ein paar Minuten kommen sechs Araber rein und setzen sich ebenfalls in die erste Klasse. Sagen wir, einer von ihnen hat einen Koran bei sich. Die Frage lautet: Steigt ihr aus?«
Es wurde einen Moment still am Tisch, wo es bisher mit zwei, drei gleichzeitig geführten Gesprächen ziemlich laut hergegangen war. Agnes dachte über Jerrys Frage nach.
Nach der Trauung und den Cocktails hatte sich die Hochzeitsgesellschaft an der langen Tafel im Raum neben der Bibliothek versammelt, genau wie am vergangenen Abend. Diesmal gab es keine Sitzordnung. Es ging ohne Noras sorgfältige Planung. Oder vielleicht war gerade die freie Platzwahl Teil von Noras Planung. Anemonenschmuck und cremefarbener Damast erinnerten an die Hochzeitsfeier, aber die allgemeine Stimmung war gelöster als zuvor. Mehrere Flaschen Champagner waren geöffnet, Toasts ausgebracht worden. Die Vorspeise, eine Kürbis-Preiselbeer-Suppe, war gegessen. Agnes trank einen leichten Weißwein, wußte allerdings nicht, was für einer es war. Sie war keine Kennerin.
»Mir würden sie nur auffallen, wenn sie gut aussähen«, sagte Josh von seinem Ende der Tafel her, worauf Bill, der praktisch auf Wolken schwebte, seit die Trauungszeremonie vorüber war, mit einem Buhruf antwortete. Er saß zwischen seiner Frau und seiner Tochter und schien wunschlos glücklich, obwohl die Tochter kaum mit irgend jemandem gesprochen hatte (schon gar nicht mit Bridget). »Schwelgen« war das Wort, das Agnes in den Sinn kam.
»Ich würde aussteigen«, sagte Bridget. »Matts wegen. Wenn man ein Kind hat, kann man nicht mehr für sich allein entscheiden.« Agnes schaute zu Matt hinüber, der rot geworden war vor Verlegenheit. »Aber ich würde wahrscheinlich sowieso nicht in der Maschine sitzen«, fügte sie hinzu. »Ich habe Todesangst vorm Fliegen. Für mich wäre es ein idealer Vorwand, um zu kneifen.«
Bridgets Schwester Janet saß neben Matt. Ihre Mutter war zum Champagner geblieben, würde aber, wie Bridget erklärte, das Abendessen in ihrem Zimmer einnehmen. Die arme Frau litt offenbar so schwer an Arthritis, daß sie nicht ohne Schmerzen längere Zeit sitzen konnte.
»Wenn Bridget aussteigen würde, käme ich mit«, warf Bill ein.
»Drückeberger«, sagte Josh mit gutmütigem Vorwurf.
»Sonst noch jemand?« fragte Jerry. Er hatte sein Jackett ausgezogen und die Ärmel seines Hemds aufgerollt. Agnes fragte sich, ob er den ganzen Tag damit zugebracht hatte, sich diese Frage für die Gruppe auszudenken.
»Ich glaube, ich würde versuchen, einen der Männer in ein Gespräch zu ziehen«, sagte Rob nachdenklich. »Ich würde ihn fragen, was er beruflich macht. Wo er lebt. Und würde meine Entscheidung von seinen Antworten und seinem allgemeinen Verhalten abhängig machen und von der Reaktion der anderen auf meinen Versuch, mit ihm zu reden.«
»Klingt eigentlich sehr vernünftig«, stellte Harrison fest.
»Ich würde der Flugbegleitung Bescheid sagen«, erklärte Agnes abrupt, ohne sich ihre Antwort lang überlegt zu haben.
»Was soll das denn bringen?« fragte Jerry.
»Keine Ahnung. Ich würde wahrscheinlich einfach fragen, ob ihnen aufgefallen sei, daß sechs Araber in der Maschine sitzen.«
»Das ist doch Diskriminierung, oder?« sagte Jerry.
»Ja, natürlich«, antwortete Agnes. »Aber die Konstellation erinnert so stark an den elften September, ich bin nicht sicher, ob da der Gedanke an Diskriminierung überhaupt noch gültig ist.«
»Es würde dich nicht stören, daß du damit den Rassisten das Wort redest?«
»Doch, sicher, aber ich würde auf politische Korrektheit pfeifen, wenn es darum ginge, mein Leben zu retten. Und
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