Eine Hochzeit im Dezember: Roman (German Edition)
Fettröllchen über ihren Jeans. Sie dachte an die Katastrophe von Halifax, an diesen heute wieder angenehmen Ort, den sie in letzter Zeit in Gedanken aufzusuchen pflegte. Sie holte Heft und Stift aus ihrem Rucksack.
Beim Abendessen saß Innes Louise gegenüber. Sie war kleiner als ihre Schwester und hatte bemerkenswerte haselnußbraune Augen (ja, ein anderes Wort gab es nicht, um diese Farbe zu beschreiben; Innes war ein Kenner von Augenfarben), aber den passenden Namen, Hazel, trug widersinnigerweise die Schwester mit den dunkelbraunen Augen. Hatten die Frasers es bei Louises Geburt bedauert, ihrer Erstgeborenen diesen Namen gegeben zu haben? Oder hatten sie diesen kleinen Scherz, den die Gene sich da erlaubt hatten, zu würdigen gewußt?
»Wir freuen uns so, Sie bei uns zu haben.« Louise sprach hastig, eine gewisse Anspannung um den Mund verriet ihre Nervosität. »Wenn es jetzt im Krieg hier auch weiß Gott nicht an Männern fehlt. Im Gegenteil, sie kommen in Scharen. Immer wieder andere. In hellen Scharen.«
Eine seltsame Bemerkung, fand Innes, und er fragte sich, warum Louise dann ungebunden geblieben war. Aber vielleicht hatte er es ja auch falsch verstanden, und auch Louise trug einen Ring am Finger. Er konnte im Moment ihre Hände nicht sehen.
»Aber nur wenige mit Mr. Finchs Qualifikation.« Das kam von Dr. Fraser, der den Aperitif versäumt hatte, aber pünktlich zum Essen erschienen war. Er war ein Mann von militärischer Haltung, der hohe Kragen, der gepunktete Schlips und der ordentlich gebürstete Schnurrbart wirkten wie eine Uniform. Innes wünschte, er und Dr. Fraser hätten vor dem Essen Gelegenheit zu einem kurzen Gespräch gehabt, nicht nur, damit er sich dem Doktor in aller Form hätte vorstellen können, sondern auch, weil Innes viel zu wenig darüber wußte, was für Pflichten ihn erwarteten.
»Wie war die Reise?« erkundigte sich Louise.
»Kalt, aber problemlos«, antwortete Innes, der dachte, daß Louise mit entspanntem Gesicht sicher hübscher aussähe, die Nervosität aber wohl von der Mutter geerbt hatte, gewiß nicht vom Vater, der sich während der ganzen Mahlzeit äußerst schweigsam gezeigt hatte, immun gegen das Geplauder seiner jüngeren Tochter und seiner Frau, statt dessen vielleicht in Gedanken bei Verletzungen oder chirurgischen Instrumenten oder Soldatengesichtern. Denn die Verwundeten und die Toten wurden – in grausigem Gegensatz zu Louises »hellen Scharen« – »in Ladungen« von den Schiffen gebracht, wie Innes einer von Dr. Frasers wenigen Bemerkungen entnahm.
Als die Leber mit Schinkenspeck serviert wurde, sprach Mrs. Fraser von einem neuen Haus, fern von Richmond, in einem besseren Viertel, in der Young Street – ob Innes die kenne? Er kannte sie nicht. Mrs. Fraser zeigte ihre Enttäuschung und fügte für den Fall, daß Innes nicht verstanden hatte, worum es ging, erläutend hinzu: »… wo die besseren Leute wohnen.« Zu denen gehörte Innes natürlich nicht, empfahl sich jedoch immerhin durch vielversprechende Zukunftsaussichten, was Mrs. Fraser, der Arztfrau, durchaus bekannt war. Lächelte Hazel bei diesem Austausch? Innes hatte den Eindruck, daß sie es tat. Er überlegte, ob der Ring mit den Diamanten ein Geschenk der Großmutter war. Aber wenig später wurde der Name Edward in naher Verbindung mit dem Hazels genannt, was bei Louise ein Stirnrunzeln hervorrief. Es stimmte also, dachte Innes. Hazel verloren, noch ehe ein Dutzend Worte getauscht waren. Verloren schon vor seiner Ankunft. Er war sich bewußt, wie absurd sein Anspruch war, gemessen an den wenigen Stunden, die er in ihrer Gegenwart verbracht hatte. Sie hatte ihm nichts gegeben, höchstens dieses halbe Lächeln. Sie war eine Fremde.
Aber seine Zuneigung zu ihr war instinktiv.
»Ich habe dieses Haus von meinem Onkel geerbt«, bemerkte Mrs. Fraser, weiterhin bemüht, sich von Richmond zu distanzieren. »Er hatte eine Zukkerraffinerie.«
»Bleiben Sie länger, Mr. Finch?« erkundigte sich Louise, als sie ihm die Schüssel mit dem Wurzelgemüse reichte.
»Ich glaube, es ist ein halbes Jahr vorgesehen«, antwortete er mit fragendem Blick zu Dr. Fraser.
Dr. Fraser reagierte nicht.
»Also über Weihnachten«, sagte Louise. »Bleiben Sie Weihnachten hier oder fahren Sie nach Hause zu Ihren Eltern? Wo leben sie überhaupt?«
»In Cape Breton.«
»Zu weit«, stellte Louise fest.
»Möglicherweise wird meine Arbeit mir gar nicht erlauben, um diese Zeit nach Hause zu reisen«, erklärte Innes, durch
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