Eine Hochzeit im Dezember: Roman (German Edition)
Louises Frage in Verlegenheit gebracht, in gemessenem Ton. Sehr wahrscheinlich wollten die Frasers während der Feiertage unter sich sein. Aber Innes konnte sich die Reise nach Cape Breton gar nicht leisten.
Das Ehepaar Fraser gab sich mit Genuß dem Essen hin. Louise, eifrig bestrebt zu gefallen, ließ keine Gesprächspausen aufkommen, wobei ihrem unablässigen Reden wohl mehr als Nervosität zugrunde lag. Innes diagnostizierte eine leichte Hysterie. Louises hellbraunes Haar war kurz geschnitten und wellte sich zu beiden Seiten ihres Gesichts.
»Wir würden uns freuen, wenn Mr. Finch das Weihnachtsfest mit uns verbrächte«, sagte Mrs. Fraser höflich, wenn auch etwas spät.
Innes stellte sich Hazels Verlobten vor. Ein Mann in Uniform. Arzt? Offizier in Frankreich? Louise sprach von einer Tanzveranstaltung auf einem im Hafen liegenden Schiff und überlegte laut, ob Innes Lust hätte hinzugehen. Innes dachte an seinen Zivilanzug, seinen einzigen Anzug, mit dem er sich auf einem Schiff voller Marineoffiziere nicht sehen lassen konnte.
»Mr. Finch«, sagte Dr. Fraser, sich in der kurzen Pause nach der Leber und vor dem Pudding aufraffend, »ich habe einige Unterlagen mitgebracht, die Sie sich heute abend ansehen sollten. Wir treffen uns morgen um halb zehn im vorderen Vestibül. Wir haben einen harten Tag vor uns. Neue Verletzte aus Frankreich.«
Die letzte Bemerkung, wie Giftgas, das über den Tisch kroch, erstickte das Gespräch. Das Schweigen zog sich bis zur Unerträglichkeit in die Länge. Selbst die redselige Louise war still, auch wenn sie Hazel von der Seite Blicke zuwarf. Eine Vermutung wurde bestätigt. Hazel war mit einem Offizier in Frankreich verlobt.
»Fünfzehn Schiffe hat es letzte Woche erwischt«, fügte Dr. Fraser hinzu, ohne Rücksicht, wie es schien, auf die Wirkung seiner Bemerkungen. Vielleicht waren die Frauen an seinem Tisch daran gewöhnt. »Es heißt, ein Mann an der Front habe eine Lebenserwartung von drei Monaten. Ein Pferd eine von einem Monat.«
Merkwürdigerweise brach schließlich Hazel das gespenstische Schweigen: »Spielen Sie Karten, Mr. Finch?«
Innes Finch war ein ziemlich guter Kartenspieler. »Ja«, antwortete er.
»Wir spielen Rommé«, bestimmte Louise, als alle aufstanden. Sie nahm Innes beim Arm. »Wir beide spielen zusammen, Hazel ist nämlich viel zu gut. Stimmt’s, Hazel? Wir kochen uns eine Kanne Kakao und machen uns einen gemütlichen Abend.«
Die drei kehrten in den Salon zurück, wo vor dem Abendessen die Drinks serviert worden waren. Neben einem sechseckigen Tisch brannte eine elektrische Lampe. Das schwache Licht und die Verdunkelungsvorhänge sorgten für eine Stimmung wie im Zelt einer Wahrsagerin, und Innes hatte das bizarre Gefühl, daß hier gleich eine Séance beginnen würde. Ein Wollknäuel, das auf der breiten Armlehne eines Sessels lag, beruhigte ihn. Louise strickte bestimmt Socken für die Soldaten. Hazel bestimmt nicht.
Die beiden Schwestern setzten sich rechts und links von Innes. Mrs. Fraser würde nicht mitspielen. Es war von einer leichten Magenverstimmung die Rede. Louise unterhielt einen ununterbrochenen Kommentar zum Krieg. Eintausend britische Schiffe verloren. John Ferguson gefallen. Marys Vater hatte im Rüstungsgeschäft ein Vermögen gemacht. Hazel schien ungerührt von den unsensiblen Bemerkungen ihrer Schwester.
Innes fiel trotz der schwachen Beleuchtung eine Schäbigkeit des Zimmers auf, die er vorher nicht wahrgenommen hatte; sie zeigte sich weniger an den Möbeln, die allzu bombastisch schienen für die heimelige Schlichtheit des Raums, als vielmehr am Fehlen jeglicher Deckenverzierung, an den schmalen Bodendielen, an einer Stelle über einer Tür, wo ein Stück Mörtel herausgebrochen war. Durch das Fenster in seinem Rücken zog es. Er spürte das Haus erzittern, als ein Automobil vorbeifuhr.
Innes gewann für Louise, das Spiel ein Fluß unter der Oberfläche bewußten Denkens. Seine Spielzüge waren routiniert und gewandt, selbst wenn er die nächste Partie absichtlich an Hazel verlor. An der Uni hatten sie um Pennys gespielt, das Geld für ein Bier gewonnen oder verloren. Innes hatte gelernt, auf einer Ebene methodisch und genau zu denken und auf einer anderen auf seine Intuition zu hören, eine Kunst, die sein Mentor ihn abends in seinem Büro üben ließ. Eine Fertigkeit, die jederzeit verfügbar war, jedoch im Gespräch mit Patienten bewußt hervorgeholt und angewandt wurde.
Der mürrische Hausdiener, der Innes’ Gepäck
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