Eine Hochzeit im Dezember: Roman (German Edition)
meinten, nun könne nichts mehr passieren. Meistens veranstalteten wir unsere Feten in den leerstehenden Strandhäusern, viele so windig gebaut, daß wir mit Leichtigkeit einbrechen konnten. Wir warteten bis nach Einbruch der Dunkelheit und feierten drinnen, wenn es regnete, und draußen auf dem Deich oder am Strand, wenn das Wetter erträglich war. Es war eine schöne Zeit, und ich wollte, ich könnte mit Vergnügen daran zurückdenken, aber das kann ich nicht. Bei einer dieser Feten betrank sich Stephen, watete in den Ozean und ertrank.
Als wir ihn vermißten, war es zu spät. Wir dachten, er wäre am Strand entlang zur Schule zurückgegangen, falsch vor sich hin singend wie immer, wenn er dicht war. Als er in der Nacht nicht heimkam, alarmierte ich die Aufsicht. Ich habe mir nie verziehen, daß ich nicht gleich an den Strand gegangen bin und ihn gesucht habe.
Seine Leiche wurde eine Woche später am Strand von Pepperell Island angespült. Seither habe ich versucht, diese Nacht zu vergessen. Es kam die Beerdigung und später eine triste Abschlußfeier, nach der wir uns in alle Winde zerstreuten, viel zu stark von Scham und Schmerz geplagt, um in Verbindung zu bleiben. Für Stephen und seine Familie war es eine Tragödie. Für uns eine beschämende Katastrophe.
Harrison legte den Füller weg und wischte sich über die Stirn. Was er da schrieb, das waren Halbwahrheiten, Beschönigungen.
Von Agnes, der Realistischsten von uns allen, habe ich noch gar nicht gesprochen. Sie war Noras Zimmergenossin, altmodisch und ein bißchen bieder, aber ein guter Kumpel. Ich weiß nicht, ob sie, solange sie an der Kidd war, je mit einem Jungen ausgegangen ist. Sie unterrichtet jetzt dort, die einzige von uns, die in Maine geblieben ist. Sie hat nie geheiratet. Den Grund dafür kenne ich nicht. Ich würde gern glauben, weil sie weiß, daß wir alle – wir Männer, meine ich – Arschlöcher sind. Sie ist auch hier im Gasthof, aber ich habe sie noch nicht gesehen.
So, da hast Du sie also, die handelnden Personen. In einer tiefen Schicht in meinem Innern lebendig. Manchmal glaube ich, daß ich sie besser kenne als meine heutigen Freunde – George zum Beispiel, mit dem ich seit zwanzig Jahren zusammen arbeite. Du mußt mir bei Gelegenheit mal erzählen, ob es Dir mit Deinen Jugendfreunden auch so geht. Ich erinnere mich, daß Du von Rowena gesprochen hast, aber ich glaube, sonst hast Du über niemanden viel gesagt.
Du fehlst mir, Evelyn. Ach, wenn ich Dir doch heute abend beim Anziehen für die Cocktail Party zusehen und dann Arm in Arm mit Dir den Saal betreten könnte. Jeder Mann dort würde mich beneiden. Und danach könnten wir in dieses schicke Zimmer zurückkommen und uns in das Bett fallen lassen, das unverschämt bequem aussieht, ein bißchen lästern und dann miteinander schlafen. Wir tun das viel zu selten, aber das weißt Du ja. Jedesmal, wenn wir es tun, frage ich mich, warum nicht öfter. Das tägliche Leben ist uns im Weg, nicht wahr? Und die Jungen, die wir gern im Weg haben. Sie sind wunderbar, und Du bist es auch.
Dein dankbarer Mann –
Harrison
Harrison steckte den Brief in einen Umschlag, schrieb seine eigene Adresse drauf und lehnte den Brief an eine Lampe.
Er kramte in seinem Gepäck auf dem Bett nach seinem Toilettenbeutel und ging ins Bad, begann schon auf dem Weg, sich auszukleiden. In der Duschkabine ließ er das heiße Wasser auf seinen Nacken prasseln. Mit gesenktem Kopf und pendelnden Armen ließ er Gedanken nicht zu, sondern summte ein paar Takte aus Lady Marmalade: Voulez-vous coucher avec moi ce soir? Lange blieb er so stehen, aber dann fragte er sich doch, ob er Noras Heißwasserbereiter nicht zuviel zumutete. Was, wenn die anderen Gäste zur gleichen Zeit für den Abend duschen wollten? Er seifte sich ein, wusch sich die Haare und spülte sich schnell ab. Er frottierte sich trocken und wischte eine Stelle des beschlagenen Spiegels blank, um sich beim Rasieren sehen zu können. Pingelige Überlegungen kehrten zurück. Würde es nach den Drinks ein gemeinsames Abendessen geben, oder würde jeder sich selbst überlassen sein? Und wenn ja, wie würden sich die Leute zusammentun? Harrison hoffte, daß Nora das im voraus geregelt hatte. Und die Trauung selbst? Von einem Geistlichen oder einem Friedensrichter war bisher nicht die Rede gewesen. War Bridget nicht katholisch? Er überlegte, wie die Trauung ablaufen würde. Bridget vielleicht in Weiß? War eine Heirat dem Krebs zum Trotz ein Akt der
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