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Eine Hochzeit im Dezember: Roman (German Edition)

Eine Hochzeit im Dezember: Roman (German Edition)

Titel: Eine Hochzeit im Dezember: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anita Shreve
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gerade Weißwein nach. Bridget hätte gern, an Bill vorbei, beschwichtigend die Hand auf Harrisons Arm gelegt. Sich mit Jerry anzulegen konnte nur übel enden. »Er war der einzige Mensch, den ich kannte, der intelligent über einen Text – eine Geschichte, ein Gedicht – diskutieren konnte, ohne ihn gelesen zu haben.«
    »Wie hat er das gemacht?« fragte Julie.
    »Er hat eine Minute zugehört und die Schlüsselwörter aufgegriffen; er besaß ein unheimliches Talent dafür, den Kern oder das Zentrale des Themas zu erfassen und dann darüber zu diskutieren, und irgendwie hat er es immer hinbekommen. Ehe man sich’s versah, stand Stephen im Mittelpunkt der Debatte.«
    »Aber es war nur Mache«, sagte Julie.
    »Ja und nein«, sagte Harrison.
    »Und morgen«, sagte Bill, »gibt’s ein Spiel, okay?«
    »Was für ein Spiel?« fragte Rob.
    »Du kannst der Schiedsrichter sein.« Bill wies auf Robs Eine-Million-Dollar-Finger. Es hätte Bridget interessiert, ob er sie hatte versichern lassen. »Ich habe Bälle, Handschuhe und Schläger mitgebracht«, erklärte Bill.
    »Cool«, sagte Matt.
    »Wir bilden zwei Mannschaften. Agnes und Nora« – und hier wandte Bill sich Bridget zu, um sie einzuschließen (obwohl er so gut wie alle anderen wußte, daß Bridget nicht spielen konnte; allein schon weil ihr womöglich die Perücke herunterrutschen würde) –, »ihr Frauen müßt auch mitspielen. Wenn wir Matt und Brian dazunehmen, müßten wir eigentlich etwas auf die Beine stellen können.«
    »Ich bin dabei«, sagte Jerry. »Branch, du mußt Shortstop spielen. Was meinst du, schaffst du das?«
    Harrison stellte gemessen sein Glas ab. Jerry schob das Kinn vor und fixierte ihn mit herausforderndem Blick. Agnes schaute auf ihren Teller. Julie starrte ins Leere, wünschte sich zweifellos nach New York zurück. Nur Bill ließ seinen Blick zwischen Jerry und Harrison hin und her gehen, als wartete er darauf, jeden Moment auf den Tisch springen und als Schiedsrichter fungieren zu müssen.
    »Vergiß es«, sagte Rob leise.
    »Was denn?« Jerry mimte den Ahnungslosen.
    Nora hob die Hand und schnippte mit den Fingern, ein scharfer, routinierter Befehl, der augenblicklich die Atmosphäre reinigte. Zwei Kellner erschienen und begannen, die Salate abzudecken und den Hauptgang aufzutragen. Bridgets Lachs war noch glasig. Bills war durch. Sie tauschten die Teller. Jerry mußte die aggressive Pose aufgeben, um sich sein Rinderfilet servieren zu lassen.
    »Die Zeiten haben sich geändert«, sagte Nora, brillant ablenkend.
    »Das kann man wohl sagen«, stimmte Rob zu, Noras Feststellung Bedeutung zuschreibend. »Unglücklicherweise wird Bush das zu jedem möglichen politischen Vorteil für sich nutzen.«
    »Warst du dort?« fragte Jerry.
    »Ich war in Boston«, antwortete Rob.
    »Wenn du nicht dort warst, kannst du es nicht beurteilen. Julie und ich waren da. Wir haben die Leichen gesehen. Giuliani war großartig, Die Polizei, die Feuerwehrleute, sie waren alle begeistert von Bush, als er kam.«
    Man hätte sich denken können, daß Rob Demokrat war; aber Jerry Republikaner?
    »Ihr habt wirklich die Leichen gesehen?« fragte Agnes von ihrem Ende der Tafel.
    »Wir haben die Menschen springen sehen«, sagte Jerry. »Fallen. Man konnte die Aufschläge hören. Mein Büro war direkt über der Straße.«
    Stille folgte, als jeder von ihnen versuchte, sich das Grauen vor dem Sprung vorzustellen, den Moment des Loslassens. Einhundertundzwei Stockwerke abwärts. Bridget schloß die Augen.
    Als sie sie wieder öffnete, sah sie Matt an, der blaß geworden war. Er hatte die Fernsehbilder gesehen, aber hatte seine Phantasie bis zu dumpf aufschlagenden menschlichen Körpern gereicht? Von Matt blickte sie zu Brian, der in einer Karotte herumstocherte. So ging das nicht.
    »Jerry«, sagte Bridget in einem Ton, bei dem alle Blicke sich auf sie richteten. »Es tut mir leid, daß du das alles miterleben mußtest. Und ich denke, wir sind uns einig darin, daß die Menschen, die am elften September in New York waren, das ganze Grauen am schlimmsten zu spüren bekamen. Aber es gibt niemanden an diesem Tisch, der nicht erschüttert war. Die Katastrophe hat uns alle getroffen.«
    »Das ist ja das Typische der Katastrophe«, sagte Rob, wobei er sich die Lippen mit der schweren Damastserviette abtupfte. »Sie ist oft so ungeheuer demokratisch.«
    »Du sagst, ihr wart erschüttert«, fuhr Jerry hartnäckig fort, obwohl Bridget ihm ansah, daß die Luft raus war, »aber ihr

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