Eine Hochzeit im Dezember: Roman (German Edition)
könnt überhaupt nicht wissen, wie es wirklich war, wenn ihr nicht dabei wart.«
»Jerry«, sagte Julie, »ich glaube nicht, daß irgend jemand hier Absolutheitsansprüche geltend machen will.«
Jerry warf seiner Frau einen finsteren Blick zu.
»Jim Mitchell hat das einmal gesagt«, bemerkte Agnes. » Die Demokratie der Katastrophe . Wißt ihr das nicht mehr? Als wir Remarques Im Westen nichts Neues gelesen haben.«
»Dein Gedächtnis ist besser als meins«, sagte Harrison.
»Von allen Lehrern, die ich hatte, war Mitchell der beste«, sagte Agnes.
»O ja. Mitchell«, sagte Jerry. »Der war’s. Ist er immer noch an der Kidd?«
»Nein«, antwortete Agnes. »Er ist nach Wisconsin gegangen. Er unterrichtet dort an einer Privatschule.«
»Wisconsin«, wiederholte Jerry. »Kam er von dort?«
»Nein«, sagte Agnes. »Er war aus Massachusetts. »Als ich an der Kidd anfing, war er noch drei Jahre da.«
»War es nicht ein merkwürdiges Gefühl, die Kollegin eines Mannes zu sein, der einmal Ihr Lehrer war?« fragte Josh.
»Am Anfang schon, ja. Aber man stellt sich schnell um.«
Agnes wurde rot. Sie hat offenbar auch Hitzewallungen, dachte Bridget, obwohl es für das Klimakterium bei ihr noch ein wenig früh war.
Sie erinnerten sich an andere Lehrer. An die Graffiti auf der Fassade der Ford Hall. Bill erwähnte den Abend, als Rob sich einen Lastwagen aus der Werkstatt »ausgeliehen« hatte und bis nach Portland und wieder zurück gefahren war. Vier Jahre an der Kidd Academy wurden in Fragmenten dem Vergessen entrissen und zu einer Art Erinnerungsmosaik zusammengesetzt: Es zeigte nicht das ganze Bild, nur die Glanzpunkte. Wißt ihr noch, wie Jerry damals das Motelzimmer mietete, um eine Fete zu veranstalten, und die Polizei kam? Wißt ihr noch, wie Harrison damals auf die Bühne gesprungen ist und eine Mick-Jagger-Nummer hingelegt hat. (»Das habe ich nie getan«, protestierte Harrison.) Julie schien mit dieser Litanei von Anekdoten so wenig anfangen zu können wie Matt und Brian. Mit perfektem Timing bat Nora zu Kaffee und Nachtisch in die Bibliothek. Wer wollte, konnte unter verschiedenen Digestifs wählen. Bridget vermutete, daß genau diejenigen, die am meisten getrunken hatten, um den Cognac oder den Drambuie bitten würden. Harrison stand vorsichtig auf. Jerry schneuzte sich, wie es aussah, in seine Serviette.
Wie hielt Julie das aus?
Bridget beschloß zu verschwinden. Sie würde nicht gute Nacht sagen, das würde nur Aufmerksamkeit erregen. Bisher hatte niemand das Wort »Krebs« ausgesprochen, und Bridget war dankbar dafür. Bei Jerrys Hang, die Leute an ihrer empfindlichsten Stelle zu packen, war es eigentlich ein Wunder.
Bill blieb zurück. Nora verschwand in die Küche. Bridget wollte Nora noch einmal für das Essen danken, aber das würde bis zum Morgen warten müssen.
»Wo sind Matt und Brian?« fragte sie.
»Im Keller steht anscheinend ein Pooltisch«, sagte Bill.
»Ach, deshalb wurden sie plötzlich so munter. Bitte sie, daß sie ihre Jacken aufhängen, ja?« Es würde sonst nicht lange dauern, bis ein Jackett auf einen Stuhl flog, dann zu Boden rutschte, und wenn einer der Jungen mit dem Queue in der Hand zurücktrat, würde er drauftreten.
»Was ist mit dir?« fragte Bill.
»Ich glaube, ich lege mich jetzt hin«, sagte sie.
»Ich komme mit.«
»Nein«, widersprach Bridget. »Bleib du bei den anderen. Paß auf Jerry und Harrison auf.«
Bill lachte. Durch die offene Tür sah Bridget Joshs Hand über den Rücken von Robs elegantem Jackett gleiten. Unterhalb der Gürtellinie machte sie halt. Julie bückte sich, um einen Ohrring aufzuheben, der zu Boden gefallen war. Jerry verkündete, er gehe pinkeln. Agnes fragte Harrison, ob er von der Halifax-Explosion gehört habe.
Bridget wandte sich Bill zu, und er legte wieder die Hand auf ihren Oberschenkel. Er saß mit aufgestütztem Ellbogen, das Kinn in die andere Hand gedrückt. »Du siehst heute abend wirklich wunderschön aus«, sagte er.
Bridget seufzte, dann lächelte sie. Es gab keine angemessene Erwiderung. »Jerry hat es ja echt in sich«, sagte sie.
»Manche Menschen ändern sich eben nie. Vielleicht tut es keiner von uns. Aber die kleine Ansprache war nett.«
»Was ist mit seiner Frau los?«
»Zu Eis erstarrt?«
»Vielleicht nur, wenn er da ist«, meinte Bridget. »Ist sie seine erste Frau?«
»Ich glaube, ja.«
»Josh gefällt mir. Er ist süß«, sagte Bridget. »Ich finde immer, schwule Männer – die Paare – gehen auf eine
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