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Eine Hochzeit im Dezember: Roman (German Edition)

Eine Hochzeit im Dezember: Roman (German Edition)

Titel: Eine Hochzeit im Dezember: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anita Shreve
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Art liebevoll miteinander um, die man bei Heteropaaren nicht oft erlebt. Es ist so, als wüßten sie die kleinen Momente zu schätzen und ihnen Bedeutung zu verleihen, die wir so oft unbeachtet vorübergehen lassen.«
    »Das unbemerkte Leben«, sagte Bill.
    »Vielleicht kommt es daher, daß sie keine Kinder haben«, sagte Bridget. »Kinder brauchen alle Luft für sich. Und sorgen für Chaos. Ich wußte gar nicht, daß Jerry und Harrison sich so spinnefeind sind.«
    »Ich glaube nicht, daß das immer so war«, sagte Bill. »Mir scheint das neu zu sein. Manchmal sieht Jerry eine schwache Stelle und schlägt zu.«
    »Ja, ein bißchen so war er immer schon.«
    »Und jetzt hat es sich verstärkt«, sagte Bill.
    Bridget dachte darüber nach, wie das Älterwerden einen Menschen reduzieren konnte, bis am Ende nur noch die hervorstechendsten Eigenschaften übrig waren.
    Sie wollte sich hinlegen. »Nora ist wunderbar«, sagte sie. »Sicher steckt auch der Wunsch dahinter, allen zu zeigen, was sie aus dem Haus gemacht hat, aber es ist doch viel mehr. Sie ist ungeheuer großzügig.«
    »Wir müssen uns erkenntlich zeigen«, sagte Bill. »Sie mal abends zu uns einladen.«
    »Na klar«, sagte Bridget. »Und der zweite Preis sind zwei Abende bei uns.«
    Bill neigte sich Bridget zu und küßte sie. Es war ein unerwartet harter Kuß, und Bridget drückte mit einer Hand gegen seine Brust.
    »Schmatz, Schmatz«, sagte Jerry, der hinter ihnen vorüberging.

» DIE GESCHICHTE kennst du also nicht«, sagte Harrison.
    Sie saßen auf Hockern an der Bar in der Küche. Nur ein Licht brannte, eine Kugel über der Bar. Harrison hatte einen Eindruck von cremefarbenem Lack, fugenlos verbundenen Borden, Regalen mit altmodischem cremefarbenem Porzellan, rostfreiem Stahl. Unter einer Fensterreihe war eine gepolsterte Bank eingebaut. An die Küche angeschlossen konnte er den dunklen Innenraum einer Speisekammer erkennen.
    Er trank von dem Kaffee aus der Maschine, die der in der Bibliothek ähnlich war. Kaffee. Er würde von Glück reden können, wenn er vor Morgengrauen einschlief. So viel Kaffee hatte er seit Jahren nicht getrunken. Aber auch nicht so viel Alkohol. Die Kombination würde wahrscheinlich zu einem kapitalen Kater führen, eine erste Vorahnung begann er schon zu spüren.
    Im Gasthof war es still. Die große Uhr im Holzgehäuse zwischen den Regalen mit dem Porzellan zeigte 1:25 Uhr. Harrison stellte sich flüchtig die Gäste in ihren Zimmern vor. Jerry und Julie, Rücken gegen Rücken, jeder an seiner Bettkante. Bill an Bridget gekuschelt, leise in ihren Nacken schnarchend (hatte Bridget eigentlich eine Perücke aufgehabt? Schlief sie auch damit?). Agnes auf dem Rücken liegend, die Hände auf der Brust gefaltet, eine Frau mit einem reinen Gewissen, die ruhig schlief. Rob und Josh ineinander geschmiegt; weiter konnte Harrison die Vorstellung nicht führen. Aber vielleicht lag er auch ganz falsch. Vielleicht waren Jerry und Julie, vor anderen so feindselig gegeneinander, im Bett voller Leidenschaft. Vielleicht schliefen Bridget und Bill getrennt, solange sie Chemotherapie bekam. Vielleicht waren Agnes’ Decken zerwühlt, ihre Träume unruhig und beklemmend. Wenn Harrison etwas über fremde Leben wußte, dann, daß der Außenstehende nicht in sie hineinsehen konnte.
    Nora wirkte erschöpft, er wußte, er sollte sie zu Bett gehen lassen. Sie würde früh aufstehen müssen, um sich um das Samstagsfrühstück zu kümmern.
    »Die von Carl und mir?« fragte sie. »Nein.« Sie schaute an ihm vorbei zu den Fenstern hinaus. »Es schneit«, sagte sie.
    Harrison drehte sich zum Fenster. Große Flocken trieben im Licht einer Laterne. »O ja!« Harrison stand auf, ging zur Tür und öffnete sie, spürte die beißende, feuchte Kälte. Während sie gegessen hatten, war die Temperatur schlagartig gefallen. Er schaute auf das Thermometer gleich an der Tür. »Es ist knapp unter Null«, sagte er. »Das macht –? Einen Unterschied von mehr als zwanzig Grad?«
    Er schloß die Tür und ging zur Bar zurück. An den Hocker gelehnt, trank er einen Schluck Kaffee. Noras Lippen waren blaß, und unter dem Auge hatte sie einen dunklen Fleck.
    »Eine zweiundzwanzigjährige Ehe ist eine lange Geschichte«, sagte Nora. »Sie ist – sie ist ein Kontinuum mit dramatischen Momenten, Perioden geisttötender Langeweile. Abschnitten ungeheurer Hoffnung. Abschnitten der Resignation. Die Geschichte einer Ehe läßt sich nicht erzählen. Es gibt keine Erzählung, die sie

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